: Vom Saulus zum Paulus
■ Chirac an der Spitze der Atomteststopp-Bewegung
Es waren zwei weniger als geplant, aber immer noch sechs Atomtests zuviel, die Frankreich in den vergangenen fünf Monaten 18.000 Kilometer vom „Mutterland“ entfernt im Südpazifik veranstaltet hat. Seit Montag abend ist der Spuk vorbei. Als Grund gab Präsident Jacques Chirac an, sein Ziel erreicht zu haben: Die Mittel für die „Unabhängigkeit und Sicherheit“ seines Landes seien für die kommenden Jahrzehnte gesichert.
Mit seiner Entscheidung, die Atomtests wiederaufzunehmen, hatte Chirac gleich nach seiner Wahl die ganze Welt brüskiert. Von Neuseeland über Australien und Japan bis hin zu zahlreichen europäischen Ländern gab es Enttäuschung, Proteste und Boykotts. Selbst das norwegische Nobelkomitee strafte Frankreich mit der Vergabe des Friedensnobelpreises an den britischen Atomgegner und Physiker Joseph Rotblat. Die französische Reaktion blieb immer dieselbe – arrogant und ungerührt. Statt Verhandlungen suchte Frankreich die Konfrontation und den Konflikt, selbst mit den Nachbarn und selbst mit den engsten Verbündeten. Die Frage „Wie haltet ihr es mit unserer Bombe?“ rückte monatelang in den Mittelpunkt der französischen Außenpolitik.
Was nach dem „definitiven französischen Teststopp“ bleibt, ist neben den radioaktiven Folgen für das Testgebiet, deren genaues Ausmaß nach wie vor völlig unklar ist, der diplomatische Scherbenhaufen, den Chirac jetzt zusammenkehren will. Nachdem seine bellizistische Position in den vergangenen Monaten weltweit antifranzösische Ressentiments wiedererweckt und geschürt hat, will Chirac jetzt offensichtlich die Rolle eines Friedensapostels übernehmen.
Nachdem alles vorbei war, äußerte Präsident Chirac am Montag abend erstmals Verständnis für die Sorgen der Atomtestgegner. An ihre Adresse ging sein Versprechen, daß Frankreich sich künftig für die weltweite Abrüstung engagieren werde und selbst kleine Atomtests verhindern werde. Der Wandel vom Saulus, der bewiesen hat, daß Frankreich sich seine Militärpolitik von niemandem in der Welt diktieren läßt, zum Paulus, der die Führung der Teststopp-Bewegung auf der internationalen Bühne übernehmen wird, ist eingeleitet. Das Ende der französischen Knallerei im Südpazifik ist zugleich der Beginn einer diplomatischen Offensive. Die T-Shirts mit der Aufschrift „Fuck Chirac“ sind obsolet geworden. Künftig muß auf ihnen stehen: „Chirac fucks the bomb“. Dorothea Hahn, Paris
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen