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Vom Rückfall zu Rückfall

■ Über Körper, Politik und Männer lamentierende Grazien: Gesine Danckwarts „Girlsnightout“ im Thalia in der Gaußstraße ■ Von Petra Schellen

Die Erde ist eine Scheibe. Und das Leben eine Spirale, sich ziellos und unproduktiv ewig weiterdrehend. Weibliche Erkenntnis auch – jedenfalls in dem Stück Girslnight-out von Gesine Danckwart. Denn bei Lichte betrachtet haben sich die drei 17-Jährigen, schwarz-, blond- und braunhaarig, keinen Nanometer weiterbewegt am Ende dieser guten Stunde, komponiert aus 20 Seiten Text, der jetzt im Foyer der Thaliabühne Gaußstraße präsentiert wurde.

Wie die berühmten drei Grazien thronen sie auf einem mit Decken und Plüschlöwe ausgestatteten Bett, als wollten sie wie einst Delilah dem König Samson die ihn stark machende Locke abschneiden – und gelegentlich schleicht sich in den postdramatisch angelegten Text Gesine Danckwarts, einer der aktuell wichtigsten Nachwuchsautorinnen, abgeklärte Bitterkeit: „Und all die Gedanken, die ich mir gemacht habe, und was ich ihm alles erklärt habe ... und am Ende hatte ich immer noch nicht begriffen, dass das aber so was von scheißegal war...!“

Jedoch – nur kurz währt die Erkenntnis, die so neu ja auch wieder nicht ist; alsbald zurückfallen werden die drei in pubertäre Vorstellungen der „ordentlichen Verführung“ als des einzig wahren Abenteuers. Und irgendwie werden sie auch gar nicht fündig auf ihrer Suche nach Sinn, die sie in verschiedenen Bereichen betreiben: Mal ist es der Körper, der Antworten geben soll – „aber der zerfällt ja auch schon wieder“; mal ist es die Politik: „Es sollte einem schon gelingen, die eine oder andere Meinung zu etwas zu entwickeln.“

In Stream-of-consciousness-Form hat Danckwart den Text angelegt, es dem Regisseur (Christian Schlüter) überlassen, aus dem endlosen Gesprächsfaden drei Figuren zu schnitzen. Und genau dies hat Schlüter brav umgesetzt: hat versucht, drei halbwegs unterscheidbare Individuen aus den phrasenartigen Textversatzstücken, die auf dem Klo, in Talkshows, in weiblichen Pseudo-Tiefsinnsgesprächen aufgefangen wurden, zu schneidern. Da ist die latent laszive, den Monolog der anderen süffisant kommentierende Brauhaarige (Susanne Wolff). Dann gibt's die, die „aus sich herauswill“ und ein übers andere Mal über ihre eigene Langweiligkeit lamentiert (Sylvia Schwarz). Und schließlich, ein bisschen irre, ein bisschen alternativ, mal im Taucheranzug, mal im kleinen Schwarzen herumtobend, die Blonde (Judith Rosmair).

Dialogfähig sind die drei allerdings nur ansatzweise: Nur sekundenweise geht mal eine – und dann meist zynisch – („Du kannst mich überhaupt nicht beeindrucken“) auf die andere ein. Die übrige Zeit hindurch werfen sie abwechselnd Selbstaussagen in die Gegend beziehungsweise erstarren abwehrend, wenn eine mal Persönliches preisgeben will. Doch was sie eint, ist die Erfolglosigkeit ihrer Suche, der stetig wiederkehrende Rückfall in das Warten auf das große Ereignis, das von außen – gar wundersam alles heilend – über sie hereinbricht.

Eine muntere, urkomische, mit präzise abgebildeten Versatzstü-cken gespickte Inszenierung, die allerdings stark gewonnen hätte, wenn der Regisseur der Versuchung widerstanden hätte, die drei Frauen unterscheidbar zu machen.

Wenn er keine Individuen geschaffen, sondern Texte und Identitäten tatsächlich austauschbar gemacht hätte, wenn er jede ihre eigenen Aussagen hätte konterkarieren lassen, dann wäre vielleicht ein wirklich postdramatisches Stück entstanden: wenn sichtbar geworden wäre, dass die drei ein Konstrukt aus Phrasen sind, wobei die einzelne noch nicht einmal für sich in Anspruch nimmt, stringent zu argumentieren, weil es in der Postmoderne letztlich egal ist, was man sagt und wie man es zusammenstellt, wenn man doch die große Auswahl hat. Und wo die Frage nach Identität sowas von altmodisch geworden ist, dass man darauf nur mit Sätzen wie wie „Zuviel Grübeln tut nicht gut“ antworten kann.

weitere Vorstellungen: 1., 8. + 10.2., Thalia Gaußstraße, 20 Uhr

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