: Vom Regen in die Traufe?
Vom Regen in die Traufe?
40 Jahre getrennte Entwicklung der beiden Deutschlands sind nicht so schnell aufzuholen. Das erfahren wir in Berlin täglich. Selbst wenn die vielfältigen praktischen Probleme gelöst sind, wird uns der Prozeß des Zusammenwachsens noch lange beschäftigen.
Der Anteil der arbeitslosen Frauen ist höher als der der Männer, neu entstehende Arbeitsplätze gehen aber nur zu 25 Prozent an Frauen, und bei den Qualifizierungsmaßnahmen stellen sie den kleineren Teil. Das breite Netz für die Versorgung der Kinder wird immer lückenhafter. In der Frage des Schwangerschaftsabbruches steht zu befürchten, daß die unwürdige restriktive »Indikationsregelung West« übernomnmen wird. Für die Frauen in den neuen Bundesländern gehört die eigene Erwerbsarbeit zum Lebensentwurf. Die psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit für sie sind deshalb aus meiner Sicht langfristig verheerend, für ihr Selbstbewußtsein und den Zusammenhalt der Familien. Für viele bedeutet der individuelle Wettbewerb zudem eine harte Umstellung, der Konkurrenzkampf um den geeigneten Arbeitsplatz ist groß und ungewohnt.
Frauen in der Wissenschaft belegen die Hälfte der Studienplätze, aber im akademischen Mittelbau liegt der Anteil bereits erheblich niedriger und bei den Professuren haben die Frauen immer noch den Orchideenstatus (unter fünf Prozent). Die Befürchtung, daß der Anteil der Studentinnen an der Humboldt-Universität sinkt, hat sich nicht bestätigt, über 57 Prozent der Neuimmatrikulierten sind Frauen. Diese Zahlen sollten auch einen Einfluß auf die Besetzung der Dozentenstellen haben. Die Realität zeigt das Gegenteil: Viele Besetzungsverfahren geben Frauen überhaupt keine Chance.
Gespräche zwischen Frauen aus den alten und den neuen Bundesländern machen deutlich, daß die Vorstellung von den besseren Bedingungen für eine gelebte Gleichberechtigung in der früheren DDR bei genauerem Hinsehen ein Trugschluß war. Andererseits sehen die Frauen aus dem Ostteil Deutschlands bei genauerer Betrachtung, daß sich die Realität der westdeutschen Frauen von dem Hochglanzbild der Frauenzeitschriften und der Darstellung publikumswirksamer Fernsehserien deutlich unterscheidet. Auch in der alten Bundesrepublik waren viele Frauen erwerbstätig, entsprachen keineswegs dem reinen Hausfrauenbild, das wiederum die DDR-Medien durchaus wirksam verbreitet hatten. Im geteilten Deutschland gab es im Hinblick auf das Rollenbild viele Vorurteile und Illusionen, die inzwischen kräftig entrümpelt worden sind. Das Bewußtsein dafür wächst, daß beide Gesellschaftssysteme auf dem Rücken der Frauen aufbauen.
Nur ein geringer Teil von Frauen in den neuen Bundesländern hat bisher ein Problembewußtsein für ihre eigene Lage als Frau entwickeln können. Die Ergebnisse der DDR-Frauenforschung waren ihnen systematisch vorenthalten geblieben, statt einer Frauenbewegung gab es ausschließlich Organisationen in den vorhandenen politischen Strukturen. Die Skepsis gegen die bundesdeutsche Frauenbewegung scheint tief zu sitzen, und eigene Organisationsformen müssen erst einmal wachsen.
Es sind also unterschiedliche Probleme, die Frauen in den neuen Bundesländern haben: die Umstellung überhaupt, die wachsenden Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die harten Wettbewerbsbedingungen sowohl um den Arbeitsplatz als auch innerhalb einer veränderten Arbeitswelt. Die Schlußfolgerung aus dieser Entwicklung heißt deshalb: Die Vereinigung Deutschlands geht vor allem zu Lasten der Frauen, Ost und West. Wer hier gegenhalten will, mindestens das Erreichte sichern, muß auf die ökonomische Unabhängigkeit der Frau setzen, ihre Wettbewerbsfähigkeit im Erwerbsleben stärken, zum Beispiel durch den massiven Ausbau der Maßnahmen zur Arbeitsförderung und der Umschulung von Frauen. Das nun vereinigte Deutschland muß endlich von seiner Selbsttäuschungsidylle von der typischen Vier-Kopf-Familie mit einem (Mann-)Einkommen Abschied nehmen. Die Mehrzahl der Frauen in Deutschland will und muß erwerbstätig sein. Unsere Gesetzgebung aber fördert immer noch die »Hausfrauen«-Ehe und bestraft die Frauen dafür mit einer miserablen Altersabsicherung als Dank für die Übernahme von Jahrzehnten unbezahlter Arbeit. Die Erfahrungen und hoffentlich bald lauten Forderungen von »Ossi«-Frauen können dazu beitragen, daß die Mehrheit der Männer im Deutschen Bundestag sich endlich dieses Problems annimmt.
Carola von Braun ist Fraktions- und Landesvorsitzende der Berliner FDP, während des rot-grünen Senats war sie Frauenbeauftragte. In der Stadtmitte schreiben BerlinerInnen über die Probleme der Stadt und des Zusammenwachsens beider Stadthälften.
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