■ Vom Nachttisch geräumt: Aufbruch
Lilja Brik (1891-1978) war Geliebte, Lebensgefährtin und Vertraute von Wladimir Majakowski. Jetzt sind ihre Erinnerungen an den Dichter auf deutsch erschienen. Die ersten Jahre der Beziehung (sie lernte ihn 1915 kennen): Aufbruch, Begeisterung Tollerei, dann die Abkühlungen privat und politisch. Der Anfang ist wunderbar zu lesen. Eine Generation, die gerade in dem Augenblick erwachsen wird, da eine ganze Welt neu gemacht werden soll, da Lügen und Konventionen nicht mehr gelten, sondern die Dinge so dargestellt werden sollen, wie sie sind — kann man sich Schöneres wünschen?
Desto schlimmer das Ende. Nicht nur das Majakowskis 1930. Danach kam der Tod ihres späteren Mannes, Primakow, General der Roten Armee, erschossen 1937 von den Genossen.
Leben wie aus Tschernyschewskis Was tun? oder aus den großen Berliner Wohnungen der frühen siebziger Jahre. Die wechselnden Paare, die dauernden Freundschaften. Hier ein gemeinsames Flugblatt, da eine Seminararbeit, ein Kind, ein Schlager, ein Roman. Bei Lilja Brik war es ähnlich gewesen. Nur alles ein paar Wolkenkratzer höher. Majakowski, Pasternak, Eisenstein, Chlebnikow, Jakobson, Schklowski. Gab sie einem abgehungerten Maler etwas zu essen, dann war es Léger. Es waren die goldenen Jahre der Avantgarde, und Lilja Brik war mittendrin, und wir, die Leser des Buches, sind es auch. Beigegeben wurden dem Band die Briefwechsel mit Wladimir Majakowski, Ossip Brik und Elsa Triolet. Letztere ist ihre Schwester, später Frau Aragon.
Wer das Buch lesen möchte, muß leider den doppelten Preis zahlen. Die Verwandlung der Offizin Andersen Nexö in Leipzig aus einem VEB in eine GmbH ist der Binderei überhaupt nicht bekommen. Einmal gelesen, löst sich das Buch in seine Bestandteile auf.
Lilja Brik: Schreib Verse für mich — Erinnerungen an Majakowsi. Übersetzt von Ilse Tschörtner, Verlag Volk & Welt, 258Seiten, zahlreiche Schwarzweiß-Fotos, 36DM.
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