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■ Vom Nachttisch geräumtMephisto Jewtuschenko

Im Mai 1975 wurde Wladimir Woinowitsch in das Moskauer Hotel Metropol gebeten. Vom KGB. In seinem soeben auf deutsch erschienenen Buch „Zwischenfall im Metropol“ schildert er, was damals geschah und was der KGB bis in die allerletzten Monate hinein tat, um zu vertuschen, was er damals mit Woinowitsch anstellte. Die Beamten des KGB traktierten den Schriftsteller mit vergifteten Zigaretten. Woinowitschs Freunde fanden die Geschichte nur abenteuerlich. Seit wir von vergifteten Schirmspitzen gehört haben, sind wir bereit, alles für möglich zu halten. Woinowitsch erzählt, was sich in Moskaus Nobelhotel zutrug mit Humor und Ironie. Sie verläßt ihn nur, wenn er auf Jewtuschenko zu sprechen kommt. Er weiß nichts Gutes über den sich durch alle Krisen hindurchmogelnden Dichter: „Ich weiß nicht, ob der Lyriker Jewgenij Jewtuschenko in irgend jemandes Auftrag handelte oder auf eigene Faust, aber in jenen Tagen versuchte er jeden, der ihm über den Weg lief, mit aller Macht davon zu überzeugen, niemand habe mich vergiftet (woher wußte er das?), diese ganze Vergiftungsgeschichte sei erlogen. Sein brennendes Verlangen, mich zu desavouieren, erlosch mit den Jahren nicht, noch fünfzehn Jahre später erwähnte er diese Geschichte ohne jeden Anlaß in der Öffentlichkeit (auf einer Sitzung der Schriftstellergruppe ,April‘), behauptete wieder, sie sei erlogen, und war unvorsichtig genug zu betonen: ,Glauben Sie mir, ich weiß es genau.‘ Ich will hier nicht im einzelnen über die Rolle sprechen, die dieser Mensch in der Breschnew- Zeit gespielt hat. Vielleicht wird einmal seine Biographie geschrieben oder sogar ein Roman (in der Art von Klaus Manns ,Mephisto‘) und darin aufgezeigt, wie ein hoffnungsvoller, hochbegabter Mensch sich in den Lakaien eines Polizeiregimes verwandelte.“

Wladimir Woinowitsch, „Zwischenfall im Metropol – Meine erstaunliche KGB-Akte“. Aus dem Russischen von Sylvia List. Piper Verlag, 229 Seiten, 36 DM

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