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■ Vom Nachttisch geräumtGedächtnisstützen

Seit Bestehen der Republik hat der Bundesbürger, wann immer er gefragt wurde, die Regierung gewählt. Er war nicht nachtragend, ließ gern mal fünf gerade sein, wenn es sich nicht um Asylbewerber, sondern um Minister und Manager handelte. Denen da oben vergab er ihre Schuld gerne. Sein Denkzettel kam selten über fünf Prozent.

Friedrich Bräuninger und Manfred Hasenbeck haben ein Buch geschrieben, das helfen könnte, den alten Bundesbürger wachzurütteln. Die beiden Autoren rufen die Skandale der letzten Jahre ins Gedächtnis. Wer erinnert sich noch daran, wie Berlins Bürgermeister und sein Senat ihre Gehälter um 25.000 beziehungsweise 23.000 Mark im Jahr erhöhen ließen, während sie ihrem erheblich weniger verdienenden Wahlvolk rieten, die Gürtel enger zu schnallen? Hamburgs SPD-Bürgermeister Voscherau hatte ein neues Diätengesetz beschlossen, das vorsah, „dem Bürgerschaftspräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden, falls diese ihren Beruf aufgeben müßten, ein Monatssalär von 19.500 Mark (früher 5.760 Mark) zuzuschanzen. Nach nur dreieinhalb Jahren Amtszeit und fünf Jahren Abgeordnetenjob hätten diese sogar noch einen Pensionsanspruch von 10.549 Mark pro Monat – ohne aber jemals auch nur eine Mark Rentenbeitrag gezahlt zu haben“. In Hamburg gab es einen Aufstand. Bis zu 60 Parteiaustritte täglich. Voscherau und Kollegen mußten am Nikolaustag 1991 auf die Bescherung verzichten.

„Die Abzocker“ heißt der Band. Grobschlächtig wie der Titel ist das Buch. Also ganz auf der Höhe seines Gegenstandes. Ein solches Buch darf man nicht rezensieren. Man muß es zitieren.

Man muß daran erinnern, daß der sozialdemokratische Ministerpräsident Hessens es für richtig befand, seine Dienstvilla für 1,6 Millionen Mark renovieren zu lassen und eine Freundin mit den Plänen dafür beauftragte. Ein Vorfall, der ihn keineswegs sein Amt kostete. Andere hatten weniger Glück. „Von den rund 50 Ministerpräsidenten, die in der Nachkriegszeit ein Bundesland regierten, stürzten nahezu 20 Prozent – also jeder fünfte – wegen peinlicher Affären.“ Die Hälfte davon ereignete sich in den drei Jahren seit 1991. In den meisten Fällen davon ging es um persönliche Bereicherung. Skandalöser noch als die Skandale ist die ganz und gar legale Normalität: „Im Januar 1989 wurde der für den Rüstungshaushalt zuständige Staatssekretär Timmermanns vom damaligen Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) nach knapp fünfjähriger Amtszeit pensioniert, obwohl bekannt war, daß er sich freiwillig aus der Politik zurückziehen und eine Professur für Unternehmensführung an der schweizerischen Hochschule St. Gallen übernehmen würde. Über den Umweg als Vorstandsmitglied des Bremer Werftunternehmens Vulkan Verbund AG landete der Beamte mit den hervorragenden Bonner Kontakten im Januar 1994 als Seiteneinsteiger bei der Deutschen Bank, wo Timmermanns mit einem satten sechsstelligen Jahressalär ,eine wichtige Aufgabe im Controlling-Bereich wahrnehmen‘ soll. Seine Ruhestandsbezüge in Höhe von rund 101.211 Mark pro Jahr kassiert Timmermanns lustig (und völlig legal) weiter. Sein Kommentar: ,Der Staatssekretärposten war doch ein Risiko, und schließlich bin ich ja nicht wegen Unfähigkeit oder Skandalen in den Ruhestand geschickt worden.‘“

Friedrich Bräuninger, Manfred Hasenbeck: „Die Abzocker – Selbstbedienung in Politik und Wirtschaft“. Econ Verlag, 368 Seiten, geb., 44 DM

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