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Vom Mauer- zum Haus der Menschenrechte

Vom Mauer- zum Haus der Menschenrechte

Das öffentliche Interesse an dem angeblichen »Mauer-Museum« besteht fort. Dabei hat der politische Hintergrund gewechselt: von einer indirekten Anklage (unpolemisch, nur durch dokumentarische Fakten) zur Phänomenologie. Es war möglich, im Zeitalter epochaler Raumüberwindung »das beste Grenzsicherungssystem der Welt« (DDR-Armeegeneral Heinz Hoffmann) zu erbauen: Hinterlandmauer, elektrischer Kontaktzaun, Streckmetallzaun, Mauer »Staatsgrenze West«, Beobachtungsturm, Bunker, Hundelaufanlage, Metallspitzenmatte — dank neuer Technik der Serienfabrikation ein erstes »Grenzsicherungssystem« der Weltgeschichte um ein ganzes Land und eine ganze Stadt.

Wie wertvoll auch immer die Früchte der »gewaltfreien Revolutionen« von 1989 in Osteuropa und von 1991 in Moskau sein werden, das Ausmaß der Veränderungen ist unabstreitbar. Zwei Diktaturen und zwei Weltkriege kennzeichnen eine Epoche, die durch eine Weltenteilung bestimmt und in der die Mauer das stärkste Glied war. Das Monstrum endete so schnell und nur wenige Opfer kostend, wie es den Leidgeprüften nur im Traume erschien. Aber es mußten zuvor Millionen in den Graben springen — Gefallene, zu Tode Gequälte, Ermordete — damit die Späteren den »aufrechten Gang« weiterschreiten konnten. Die Symbolkraft des 2,6 Tonnen schweren Segmentes der Mauer steht gewiß im Zusammenhang mit dem epochalen Abschluß und — als Siegestrophäe — mit dem Anfang des werdenden Europa. Als unsere wandernde Schwesterausstellung Ende 1990 in Riga, Anfang 1991 in Moskau war, hatten wir ein solches Element mitgebracht, das dort verblieb.

In einigen Objekten steckt Geschichte. Aus dem Mini-U-Boot, mit dem sich Bernd Böttcher nach Dänemark ziehen ließ, ging ein Weltpatent hervor. Aus der Geschichte zweier Familien, die einen Heißluftballon erbauten, wurde der Film Mit dem Wind nach Westen. Die Karre, mit welcher Sand transportiert wurde, gehört zu einem Tunnel, an dessen Eingang der spätere Risikoforscher und Astronaut Reinhard Furrer alle 57 Flüchtlinge in Empfang nahm. Dieser Ausstellungsteil wird, wenn nun auch anders gestaltet, fortbestehen. Das Ende der Mauer ist eine Mahnung, verantwortungsvoll mit der Zukunft umzugehen, denn die politischen Denkweisen und Institutionen halten mit dem Tempo der Veränderungen nicht Schritt. An unserer Hauswand ist zu lesen: »Gandhi, Martin Luther King, Sacharow, Walesa sind auch die Baumeister deiner Zukunft«.

Der uns ins 21. Jahrhundert führende Sacharow nennt »Friede, Fortschritt, Menschenrechte voneinander untrennbar«, »keines kann sich entwickeln, ohne dem anderen Rechnung zu tragen«. Zu häufig wurde geglaubt, funktionierende Demokratie und Meinungsfreiheit könnten jeden Umbau ermöglichen. Sacharow belehrte uns über die Bedeutung der Teilnahme aller Völker am Fortschritt. Eines unserer wichtigsten Bilder ist von dem Moskauer Maler Mark Lewin, eine Mauer des 13. August, in die der Kopf Sacharows eingehauen ist und Risse erzeugt.

Nachdem die Mauer gefallen war, lag es nahe, dem »gewaltfreien Kampf« weitere Räume — immerhin drei — zu geben. Wir sehen: wie in Ost-Berlin am 4. November 1989 mit 600 gelb-grünen Brustbinden »Keine Gewalt« dieser Appell demonstrativ benutzt wurde, wie in Prag die Demonstranten am Boden sitzen blieben und mit Kerzen und Blumen der Milizvormarsch gestoppt wurde, wie in Moskau Bürger, die alte russische Fahne in den Händen, die Panzer zum Stehen brachten, wie in Leipzig die Demonstranten eine schützende Menschenkette um das Stasi-Gebäude bildeten.

Alle künftigen Diktaturen werden das Zustandekommen gewaltfreier Kettenreaktionen einkalkulieren müssen. Nicht, weil neuzeitliche Kommunikationstechnik es begünstigt und die disziplinierte Solidarität weltweit sichtbar macht, sondern weil erprobte Regeln des gewaltfreien Kampfes im Glashaus unseres Planeten sich nachahmenswert bewährten. Noch vor drei Jahrzehnten konnten bei Menschenrechtsverletzungen die Diktatoren ein Recht auf »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« in Anspruch nehmen. Indes ist die »Einmischung« der Außenwelt zur Selbstverständlichkeit und politischen Tugend geworden. Mit der wachsenden Bedeutung der Menschenrechte ist zu erwarten, daß auch weltweit die Initiativen zu Ausstellungen und Museen zunehmen werden. Wenn bisherige Versuche meist kurzlebig waren, führen wir unser bisheriges Überleben besonders auf zwei Gestaltungsprinzipien zurück: Wir haben so gut wie nie das Blut gezeigt. Dafür, was gegen Unrecht und Gewalt getan wurde und wie, wenn es vorbildlich war. Und wir haben die bildende Kunst einbezogen. Fotos, Dokumente und Objekte können letztlich nur informieren. Wie die Zeit erlebt wurde, bleibt dem Kunstschaffenden vorbehalten. Darum sind die Bilder und Skulpturen keine Ergänzung, sondern das Tor zur Teilnahme und Motivierung.

Rainer Hildebrand ist Gründer des Mauermuseums, das im Juni vor 29 Jahren eröffnet wurde. In der Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.

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