Vom Maghreb über Westafrika in die Levante:
Bombino: Azel (Partisan)
Vom Wüstenwind verweht
Der Gitarrist Bombino ist fest in der Tradition der Tuareg verwurzelt, hat aber seinen eigenen Sound gefunden. Seine Mischung aus rockiger Improvisation und schweren Beats, die sich im Takt wiegen wie die Wanderdünen im Wüstenwind, ist eigen und suggestiv, sie kann so süchtig machen wie der Anblick der unendlichen Weiten der Sahara. Man kommt nicht auf Anhieb auf die Idee, dass das Album in einer umgebauten Scheune im legendären Ort Woodstock in der Nähe von New York entstanden ist, doch der grobkörnige Indie-Rock-Einschlag ist hörbar – etwa in den westlichen Vokalharmonien oder Reggae-Beats, die sich in Bombinos Bluesrock eingeschlichen haben. Die Lieder handeln von Liebe, Freundschaft und der Schönheit der Wüste. An Titeln wie „Ashuhada“, den Opfern der ersten Tuareg Rebellion gewidmet, oder „Wir sind an diesem verlassenen Ort verloren“ zeigt sich, dass er das Anliegen seines Volkes nicht aus den Augen verloren hat.
Aziza Brahim: Abbar El Hamada (Glitterbeat)
Mauern überwinden
In einem Flüchtlingslager in der algerischen Hammada-Wüste aufgewachsen, lebt die Sängerin Aziza Brahim heute in Barcelona. Mit ihrer Musik erinnert sie an das Schicksal der Sahrawi, der Bewohner der seit fast 40 Jahren von Marokko besetzten Westsahara. Auf ihrem Album „Abbar El Hammada“ greift sie neue Einflüsse auf, ohne dem Charakter ihrer in den traditionellen Weisen der Sahrawi verwurzelten Musik untreu zu werden. Unverkennbar sind die spanische Gitarre und der andalusisch modulierte Gesang auf „Calles de Dajla“. Subtiler sind die Beigaben der westafrikanische Percussion-Rhythmen und Gitarrenklänge, die ihren elegant dahinrollenden Wüstenblues auf „La cordillera Negra“ umfließen. Über allem schwebt ihr leidenschaftlicher und poetischer Gesang auf Arabisch und Spanisch. Die Songs handeln von Heimatlosigkeit und der Suche nach Gerechtigkeit, den Erfahrungen der Flucht , der Emigration und des Lebens in der Diaspora. Der Song „Los Muros“ erzählt von den Mauern, welche die Menschen von der Rückkehr in ihre Heimat oder von der Flucht in ein besseres Leben abhalten sollen, die sich aber durch Kreativität und Kunst überwinden lassen.
Rokia Traoré: Né So (Warner)
Heimatlos
Als Diplomatentochter verbrachte Rokia Traoré ihre gesamte Kindheit auf gepackten Koffern, heute pendelt sie zwischen Mali und Europa hin und her. Die Wirren in ihrem Heimatland haben jedoch auch sie heimatlos gemacht, hatte sie sich doch gerade erst entschlossen, sich in Mali niederzulassen. Doch seit das Land vor vier Jahren durch Putsch, Bürgerkrieg und Militärintervention ins Chaos stürzte, kommt es nicht zur Ruhe. „Né So“ bedeutet auf Bambara so viel wie „zu Hause“, und der Titelsong ist allen Menschen gewidmet, die ihre Heimat verloren haben. Minimalistisch, hypnotisch und von einem subtilen Funk-Groove durchzogen sind die Stücke, in denen Rokia Traoré, dezent von Gitarre, Bass, Ngoni-Laute und Schlagzeug begleitet, mit ihrer rauchigen Stimme auf Französisch und Bambara von Liebe, Respekt und der Sehnsucht nach innerem Frieden singt. Außerdem interpretiert sie den Antirassismus-Klassiker „Strange Fruit“, den einst Billie Holiday berühmt gemacht hat.
Bachar Mar-Khalifé: Ya Balad (Infiné)
Schmerz der Erinnerung
Bachar Mar-Khalifé ist der Sohn der libanesischen Songwriter-Legende Marcel Khalife. Der Komponist, Multiinstrumentalist und Sänger lebt in Paris, wo er zwei Alben veröffentlicht und diverse Soundtracks komponiert hat. Musikalisch bewegt er sich zwischen Weltmusik, Elektronik und Jazz, den er mit nahöstlichen Traditionen verschmilzt. Sein Album „Ya Balad“ („O Heimatland“) thematisiert die Erfahrung der Emigration und den Verlust der Heimat, der geradezu körperlich schmerzt: die nostalgische Erinnerung an den Geschmack von Croissants mit Thymian, von Kaffee über offenem Feuer, dem Geruch der landestypischen Baladi-Seife und dem Gefühl eines rauen Luffaschwamms auf dem Körper. Dräuend und dramatisch wie ein modernes Oratorium eröffnet das Album mit „Kyrie Eleison“, das wie ein Kirchenchoral klingt. „Balcoon“ vereint TripHop mit orientalischen Motiven und ist der Jugend des Libanon gewidmet, die zwischen Aufbegehren und Anpassung hin und her gerissen ist. Und in „Lemon“ treffen Breakbeats auf raue und arabische Volkstanzrhythmen, dafür hat Mar Khalifé ein Barock-Cembalo auf orientalische Vierteltöne eingestimmt, die Zeilen stammen vom ägyptischen Dichter Samir Saady. So führt das Album arabische Lyrik, nahöstliche Traditionen und elektronische Klangmalerei zu einem faszinierenden Kaleidoskop der Erinnerungen, Assoziationen und Emotionen zusammen.
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