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Vom Landleben in der StadtMein Freund, der Baum

Wirtschaftsweisen

von

Helmut Höge

Wenn in der Stadt eine Motorsäge jault, verziehen die Passanten das Gesicht: Schon wieder wird ein Baum gefällt. Wer aufs Land zieht, wird früher oder später selbst einen Baum pflanzen, aber wohl auch einen oder mehrere fällen.

Der Semiologe Roland Barthes unterschied die Metasprache, die in der Stadt gesprochen wird, von der Objektsprache auf dem Land. „Die erste Sprache verhält sich zur zweiten wie die Geste zum Akt: Die erste Sprache ist intransitiv und bevorzugter Ort für die Einnistung von Ideologien, während die zweite operativ und mit ihrem Objekt auf transitive Weise verbunden ist.“ Zum Beispiel der Baum: Während der Städter über ihn spricht oder ihn sogar besingt, da er ein ihm zur Verfügung stehendes Bild ist, redet der Dörfler von ihm – gegebenenfalls fällt er ihn auch.

Und der Baum selbst? Wenn der Mensch mit einer Axt in den Wald kommt, sagen die Bäume: „Sieh mal! Der Stiel ist einer der Unsrigen.“ Dies behaupten jedenfalls die Waldarbeiter.

Mit der Bewegung aufs Land, in „die Natur“, zur Selbstversorgung ging es auf und ab. Immer mehr Berliner möchten heute einen Schrebergarten haben, aber seit etwa zehn Jahren werden auch immer mehr Kolonien enteignet. Zuletzt wurde in Pankow eine Anlage mit über 300 Gärten in der Schönholzer Heide für 2,5 Millionen Euro an einen Spekulanten verkauft, der dort „Baumaßnahmen“ durchführen will, sobald der Flughafen Tegel geschlossen wird.

Es gibt noch 1.000 Kolonien in Berlin, nicht zuletzt, weil in Ostberlin die Industriebetriebe verpflichtet waren, für ihre Mitarbeiter Gartenland bereitzustellen. „Das Land denen, die es bewirtschaften!“ gilt nicht mehr, aber nach wie vor das, was der tschechische Dissident Ludvík Vaculík über die Zeit nach 1968 (also nach dem Einmarsch der Roten Armee) sagte: „Der Garten, das war das Einzige, was mich vor dem Verrücktwerden bewahrt hat.“Es gibt viele Bewirtschaftungsweisen, um sich dort „gesund“ zu erhalten. Eine „tiefsinnig, sensible“ Person kann „im Garten den Frieden empfinden“, den sie „in der Stadt vermisst“; eine „rohe oder egoistische“ Person kann „unter dem Einfluss dessen, was wächst und von ihrer Pflege abhängig ist, verfeinert werden und Hilfsbereitschaft lernen“, schrieb die Gründerin des Schwedischen Naturschutzbundes Anna Lindhagen 1916 in ihrem Buch „Schrebergärten“.

Quer dazu gibt es dort die einen, die wie blöd ackern und ständig am Zupfen und Ausrupfen sind; und die anderen, die sich vom „Stress“ erholen und „die Natur“ genießen wollen, zum Beispiel die vielen Singvögel. Andere erwarben gleich eine ganze Scheune hinter Oranienburg, die sie ausbauten; wieder andere ein Vorwerk bei Neuruppin, manche sogar ein Bauernhaus in Polen.

Für die urbanen jungen Leute ist das Aufs-Land-Ziehen oder Einen-Schrebergarten-Pachten meist ebenfalls ein Experiment – also auf einige Jahre begrenzt, analog zu einem wissenschaftlichen „Forschungsprojekt“ über die „Objektsprache“.

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