Vom Augsburger Brecht-Festival: Im Dickicht der Stadtgespräche
Beim Augsburger Brecht-Festival assoziieren Rocko Schamoni, Torch und Gesine Danckwart über urbane Zukunft.
Dunkle Wolken hängen über Augsburg. Es nieselt. In der nächsten Sekunde glänzen Sonnenstrahlen auf, die feuchte Luft wird drückend warm. Und kurz darauf gießt es in Strömen. Es wirkt ein wenig, als sich habe das Wetter an den Charakter des dritten Brecht-Festivals angepasst: In kurzer Zeit gibt es von allem ein bisschen, aber jedes bisschen intensiv.
Albert Ostermaier, Kurator des Festivals, hat eingeladen: 36 Musiker, 28 Autoren, 15 Schauspieler, 8 DJs und 3 Politiker. Ausgehend von Brechts Drama "Im Dickicht der Städte" trugen sie auf vier Tage verteilt eigene Texte vor, um - ausgerechnet im kleinen Augsburg - über die Zukunft der Städte zu diskutieren. Ostermaier will damit weder Brecht verehren noch Wissenschaft betreiben. Er will Menschen verbinden und über Brecht nachdenken lassen, der damals aus Augsburg ins große Berlin kam.
Vielleicht als Einziger hat der mosambikanische Regisseur, Autor und Schauspieler Evaristo Abreu die Aufgabe wörtlich genommen und sich direkt mit Brecht auseinandergesetzt. Als "writer in residence" hielt er sich zwei Monate in Augsburg auf, studierte die Menschen - großartig seien sie, etwas kühl und erstaunlich wenig spielten sie mit der Erotik zwischen Mann und Frau - und inszenierte sein Stück "Ein idealer Mann" neu. Es erzählt von einer Frau, die vom Land in die Stadt zog. Sie träumt nun von einem Mann, der sie liebt und beschützt und ihr im Haushalt hilft, und sie muss doch einen Weg finden, allein in der Großstadt zu überleben. Dabei spricht die Frau, Deolinda, nicht selbst, sondern eine für das Publikum unsichtbare Schauspielerin leiht ihr die Stimme. Es ist nicht nur ein Kunstgriff, auf diese Weise eine mosambikanische Schauspielerin vor deutschem Publikum auftreten zu lassen. Es erschwert die Identifikation mit der Figur. Nicht ganz aktuell, aber im Sinne Brechts.
Weniger direkt, eher assoziativ gehen die sogenannten Module mit Brechts Werk um: moderierte Lesungen zu Themen wie Stadtentwicklung, Migration, Reichtum und Armut, in denen ein Schauspieler Brecht liest, verschiedene Autoren ihre Texte vortragen und ein Moderator versucht, die Gedanken miteinander zu verbinden. Nicht immer will das ganz gelingen.
Im Modul "Brecht und das ABC der Ghettos und Guarded Communities" etwa erinnert sich Neco Çelik an seinen Weg in die Berlin-Kreuzberger Graffiti-Szene; Gesine Danckwart schlüpft in die Figur eines arbeitslosen Fernsehjunkies, um kurz darauf in den kurzatmigen Duktus einer Karrierefrau zu fallen ("Ich bin Amerika, als man es noch sein wollte"); die Heidelberger Hiphoplegende Torch hat seine Gedanken über Geld in einem Song zusammengefasst, den er als Gedicht rezitiert; und Thomas Druyen, Professor für Vermögenskultur in Düsseldorf, spricht über den Umgang mit Reichtum in der Gesellschaft und fragt sich, wie nun die vier Ansätze zusammenpassen sollen. Moderator Jan Knopf, Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht der Universität Karlsruhe hält es da mit Brecht: "Texte sind dazu da, nicht verstanden zu werden."
Aber das Festival will ja keine Lösungen präsentieren, sondern eine kreative Generation zusammenbringen, die über die Zukunft in den Städten nachdenkt. Oder die zumindest einen Querschnitt liefert, wie Städter denken. Ein Kleinstädter mit Großstadterfahrung sitzt in Gestalt des ehemaligen Dorfpunks Rocko Schamoni im Modul, das "Brecht und das ABC vom Herzschlag im Rhythmus der Stadt" heißt. Rocko Schamoni, in Jeans und schwarzem Hemd, das er weit aufgeknöpft hat, kichert in sich hinein, in liebevoll-ironischer Distanz zu Augsburg, das alles kenne, was eine Großstadt ausmacht: "Dunkelheit, Sexualität, Drogen, Arbeitsplätze, Ampeln, unterirdischer Verkehr".
Aber er spricht auch mit humorvoller Offenheit über die in Großstädten abnehmende Halbwertszeit der Liebe, die Notwendigkeit, beim Verlassen der Wohnung den Fernseher anzulassen ("es gibt so ein gastliches Gefühl, wenn ich nach Hause komme"), und seine Technik, seinem Leben hinterherzuschreiben ("ich beute mein eigenes Elend aus"). Vielleicht gibt das Festival von allem nur ein bisschen. Aber die Geschwindigkeit, in der so unterschiedliche Ansätze aufleuchten, und die Gleichzeitigkeit des Ungleichen sind eben auch Wesenszüge einer Stadt.
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