Volontariat 2018 : Lin Hierse
Als Journalistin zu arbeiten, traute sich Lin Hierse lange Zeit nicht zu. Auch weil ihr die Vorbilder fehlten.
Ich wollte immer Journalistin sein. Eine zu werden habe ich mir jedoch lange nicht zugetraut. Das liegt einerseits daran, dass “irgendwas mit Medien“ nicht wirklich nach stabilen finanziellen Verhältnissen klingt. Ich hörte von schlecht bezahlten JournalistInnen, geringen Zeilenhonoraren und starker Konkurrenz in der Pressebranche. Das andere, wahrscheinlich größere Problem, waren die fehlenden Vorbilder.
Die JournalistInnen, die von politischen Geschehnissen berichteten, in Talkshows ihre Meinung ausbreiteten oder in Reportagen um die Welt reisten, waren nur selten Frauen und noch viel seltener Frauen, die “irgendwie anders“ aussahen. Auch waren die JournalistInnen im Fernsehen wohl keine, die sonntags mit ihren Eltern Discounter-Prospekte nach Sonderangeboten durchblätterten oder nie etwas von Loriot gehört hatten.
Diversität in der Medienlandschaft fördern
Das taz Panter Volontariat will Diversität in der Medienlandschaft fördern. Mit dem Programm sollen Menschen in Redaktionen geholt werden, die dort unterrepräsentiert sind – Frauen mit Migrationshintergrund zum Beispiel.
Ein gutes Jahr hatte ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität in Berlin gearbeitet, als mir ein Freund vom Panter Volontariat erzählte. Das Programm war zumindest im ersten halben Jahr eine finanzielle Herausforderung, klang jedoch inhaltlich reizvoll: 18 Monate Ausbildung, alle zwei Monate in einem neuen Ressort der taz. Vier Wochen Kompaktkurs an einer renommierten Journalistenschule, eine weitere Station in einem anderen Medienhaus.
Ich schrieb eine Bewerbung und wurde zum Gespräch eingeladen. Mit fünf tazlerInnen plauderte ich über meine Geburtsstadt Braunschweig, gelungene Reportagen und die digitale Zukunft der Zeitung. Als die Entscheidung auf sich warten ließ, unterschrieb ich einen Promotionsvertrag am Geographischen Institut zum Thema (Un)Sicherheitsempfinden im Generationenvergleich. Als die taz dann zusagte, nahm ich mir eine Woche Bedenkzeit – und kündigte schließlich den Vertrag an der Uni. Es war mein Bauch, der mir sagte: Eine Entscheidung gegen Journalismus wirst du deutlich mehr bereuen.
In den ersten sechs Monaten bei der taz habe ich viel gelernt: Texte redigieren oder auf taz.de die Kommentare von LeserInnen unter den Artikeln moderieren. Als Reporterin vor Ort sein, O-Töne einfangen – zum Beispiel als Berlin Kippa trug und sich 2.500 Menschen mit der jüdischen Gemeinde solidarisch zeigten. Außerdem: Einen Seite-Eins-Kommentar schreiben, eine Podcastfolge aufnehmen, eine multimediale Reportage umsetzen. Ja sagen zu dem, was mich wirklich interessiert. Und – deutlich schwerer – nein, wenn es nötig ist.
Was die Zukunft bringt?
Auch die Entscheidung für das Volontariat ist mir nicht leichtgefallen. Für mich als angehende Wissenschaftlerin bedeutete sie einen finanziellen Rückschritt und das Einlassen auf eine mir bis dahin eher ferne Medienarbeitswelt. Das hieß auch: wieder Anfängerin, Auszubildende, die Neue sein. Seitdem ich bei der taz bin, habe ich auch weniger geschlafen, unregelmäßiger gegessen und mehr an mir gezweifelt als je zuvor. Und trotzdem habe ich die richtige Wahl getroffen: Noch nie bin ich morgens so gern aufgestanden wie gerade jetzt.
Was die Zukunft bringt? Das fragt sich die taz dieser Tage ständig und ich mit ihr. Ziele soll man sich hochstecken, steht in vielen Karriereberatern. Bescheidenheit ist wichtig, sagt mein chinesischer Cousin, der oft 16 Stunden am Tag arbeitet, am liebsten einfache Reissuppe isst, aber mindestens eine Rolex am rechten Handgelenk trägt. Nun, in meinem Szenario 2019 (dann geht mein Volontariat zu Ende) bin ich hier und die taz natürlich auch. Im Idealfall sind wir noch zusammen und sehr verliebt. Die taz ist dann mit ihrem digital-transformierten Ich im Reinen und ich habe angefangen, ein Buch zu schreiben. Vielleicht bin ich Redakteurin für Utopisches und schreibe über die Welt, in der wir künftig leben wollen. Und wenn es ganz gut läuft, sitze ich in der Kaffeepause mit einem der taz Hunde auf dem Dach des Neubaus und weiß endlich was ein „Wuppi“ ist.
Dieser Beitrag stammt aus der Publikation 10 Jahre taz Panter Stiftung.