: Voll auf die zwölf mit Atari Teenage Riot und Keule
Die Sache mit dem Schockieren ist ja immer noch sehr beliebt. Das Problem allerdings: Es ist nicht mehr ganz so einfach, wie es mal war. Trotzdem versuchen es immer wieder welche. Die einen so, die anderen anders. Die einen heißen Atari Teenage Riot, die anderen Keule.
Als Atari Teenage Riot auf der Bildfläche erschienen, im vergangenen Jahrtausend schon, brauchte man, um zu schockieren, nur den Regler an der Rhythmusmaschine auf Anschlag drehen und die Gitarren so lange durch den Computer jagen, bis die Verstärker platzten. Das hat damals so gut funktioniert, dass Alec Empire und seine Band weltweiten Kultstatus erlangten, bis sie pünktlich zum Jahrhundertwechsel aufgelöst wurden.
Nun, auf ihrem Comeback-Album „Is This Hyperreal?“ beginnen Atari Teenage Riot dort, wo sie aufgehört haben: Doch schon der Eingangssong „Activate!“ bollert zwar mächtig, aber muss dann doch anerkennen, dass es lange nicht mehr so simpel ist, zu provozieren. Die Idee, ein Attentat elektronisch nachzustellen und mit rotziger Punkrock-Attitüde zu verzieren, ist mittlerweile von so vielen Kollegen in allen denkbaren Schattierungen ausgemalt worden, dass die Originale im Vergleich fast rührend wirken.
Dass Alec Empire seinen Ansatz auf Solo-Alben, als Produzent und Remixer für Björk oder Rammstein selbst schon ausdifferenziert hat, macht die Rückkehr zur rohen Gewalt von Atari Teenage Riot zwar etwas überraschend. Allerdings, wenn man „Is This Hyperreal?“ lange genug wirken lässt, also so ungefähr fünfeinhalb Minuten, wird man dann doch wieder recht effektiv in jenen Sog hineingezogen, den rohe Gewalt so generieren kann. Das Album ist zwar im Vergleich zu frühen Aufnahmen fast aseptisch, aber vielleicht entwickeln die Lärmattacken gerade deshalb umso größere Effektivität. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass Empire und Nic Endo gar nicht groß ihre eh meist unverständlichen Texte über „criminal politicians“ rumschreien müssten: Dieses Klangbild könnte, kann man zumindest hoffen, auch ohne mitgröltaugliche Botschaften eine politische Sprengkraft erzielen.
Ganz anders bei Keule. Ihr Debütalbum heißt zwar „Schnauze“, aber die 15 Songs dienen fast ausnahmslos nur einem Zweck: von möglichst vielen Menschen mitgegrölt zu werden. Während Sera Finale (früher mal ein durchaus ernsthafter Rapper) und Claus Capek (einst bei einer Popband mit dem fantasievollen Namen Band ohne Namen) in wenig einfühlsamen Worten den Missbrauch von Alkohol, die Lächerlichkeit gewisser sexueller Spielarten und die Unzulänglichkeit des menschlichen Wesens analysieren, donnern stumpfe Electro-Beats und verzerrte Gitarren. Ihr bester und bekannter Song beschreibt das Entstehen einer leidenschaftlichen Beziehung während der alljährlichen Kreuzberger Gewaltfestspiele: „Liebe auf den 1. Mai“. Manch weiterer Song ließe sich verstehen als der Versuch, Atzenmusik für ein alternatives Publikum zu schaffen. Auch eine Idee. Sollte sie tatsächlich verfangen: Das wäre wirklich mal wieder ein Schock.THOMAS WINKLER
■ Atari Teenage Riot: „Is This Hyperreal?“ (Digital Hardcore/Rough Trade); Keule: „Schnauze“ (Styleheads/Universal), Record Release Party am 15. 7. im Chesters