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Voll auf Energiewende

Im Osten des Musterländles ist die Energiewende-Welt schon ziemlich in Ordnung. Während die Große Koalition in Berlin Solar, Windkraft und Biogas ausbremsen will, stehen Ostwürttemberg und das benachbarte bayerische Donau-Ries wie kaum eine andere Gegend unter erneuerbarem Strom

von Jürgen Lessat

Die Energiewende lebt. Und wie. Sie fällt jedem Besucher der Gegend dies- und jenseits der Autobahn 7 ins Auge. Sei es als bläuliche Solarpaneele auf den Dächern von Eigenheimen, Industrie- und Bürokomplexen, Lagerhallen, Kasernen oder Scheunen und Ställen. Abseits Ortschaften sind es auf rauhen Ostalbhöhen immer mehr Windräder, die dafür stehen, dass sich in dieser Region etwas in Richtung Zukunft bewegt. In die Zukunft einer klimaverträglichen Stromversorgung, die auf erneuerbaren Energien fußt. „Rund 25.000 Anlagen, die aus Sonne, Biomasse und Wind Strom machen, gibt es hier bereits“, vermeldet stolz der örtliche Versorger EnBW ODR. Die meisten regenerativen Anlagen gehören jedoch Privatleuten, Energiegenossenschaften und Stadtwerken. Aber auch die EnBW ODR, eine Tochter des vom Atomausstieg gebeutelten landeseigenen Energieriesen EnBW, setzt auf Wind und Sonne.

Die Statistik zeigt, wie weit die im Jahr 2010 von der Bundesregierung ausgerufene Wende weg von Kohle, Gas und Atom hin zu Erneuerbaren bereits in dieser Region umgesetzt ist. Bereits an 125 Tagen im Jahr wird im Dreieck zwischen Stuttgart, Ulm und Nürnberg durch Solar-, Wind- und Bioenergieanlagen mehr Strom produziert als verbraucht. Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr wurden 990 Millionen Kilowattstunden Ökostrom in die Leitungen der Netzgesellschaft Ostwürttemberg (NGO) eingespeist. Diese Menge entspricht in etwa dem Jahresbedarf aller 220.000 Haushalte, die die EnBW ODR als Kunden zählt. An wind- und sonnenreichen Tagen wird der Öko-Überschussstrom nach Stuttgart und Nürnberg „exportiert“. Für die Besitzer der dezentralen Kraftwerke lohnt sich die Energiewende: die NGO zahlte Ökostromproduzenten 275 Millionen Euro Einspeisevergütung.

Zurück zu den Anfängen: Dezentrale Stromerzeugung

Seit genau 100 Jahren erst gibt es im Osten Baden-Württembergs Strom. 1912 läutete die Berliner Bergmann Elektrizitätsunternehmungen AG mit einem Kohlekraftwerk in Ellwangen den Siegeszug der Elektrizität ein. Zu Beginn des Stromzeitalters existierten in der damals noch sehr ländlichen Gegend viele kleine Netzinseln, die mit elektrischer Energie aus örtlichen Kraftwerken versorgt wurden. Wie in ganz Deutschland änderte sich im Laufe der Zeit die Versorgungsstruktur hin zu einem flächendeckenden Netz mit größeren, zentralen Kraftwerkseinheiten. Heute dreht sich das Rad der Stromversorgung wieder zurück, wenn auch in eine moderne Energiewelt, an der die Bürger über eigene dezentrale Anlagen partizipieren.

„Die beschlossene Energiewende ist vernünftig“

EnBW-ODR-Vorstand Frank Hose begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. „Die von der Politik beschlossene Energiewende ist vernünftig, sie schont fossile Ressourcen, trägt zum Klimaschutz bei und schafft den zukünftigen Generationen eine Basis für eine sichere, umweltschonende und bezahlbare Energieversorgung aus heimischen Quellen“, sagt der Manager. „Damit die Energiewende gelingt, muss jeder seinen Beitrag leisten. Von daher ist es nur logisch, die Bürger möglichst direkt an der Energieversorgung zu beteiligen.“

Es ist kein einfacher Weg. Fast 100 Jahre hätten die örtlichen Stromnetzbetreiber ihre Netze ausschließlich auf den Strombezug aus zentralen Kraftwerken ausgerichtet. „Was derzeit passiert, ist schon so etwas wie eine Revolution“, sagt Hose, „wir haben immer mehr Gegenverkehr im Netz, weil Strom gleichzeitig eingespeist und abgenommen wird.“ Und: „Wenn die Sonne scheint, dann scheint sie in unserem Gebiet fast überall“, schildert er ein weiteres Phänomen. Extreme Stromerzeugungsspitzen sind die Folge. Jede neue Solar- und Windkraftanlage muss im Netz untergebracht werden, was Netzaus- und Netzzubau, intelligente Steuertechniken sowie dezentrale Stromspeicher erfordert. „Und das braucht eben eine gewisse Zeit“, erklärt Hose. Bis 2020 will die ODR allein für die Integration der Erneuerbaren rund 100 Millionen Euro investieren.

Flexibles Netzmanagement heißt das Zauberwort. Ein wichtiger Baustein dafür sind Speichertechnologien, um Stromspitzen und Erzeugungsflauten zu puffern. In einem kleinen Weiler hat die EnBW ODR gemeinsam mit dem Ellwangener Batteriehersteller Varta den „Spitzenspeicher Nr. 1“ realisiert. Der Ortsnetzspeicher ist kleiner als eine Garage und hat eine Kapazität von 63 Kilowattstunden, um Überschussstrom zwischen zu speichern und nachts 20 Einfamilienhäuser zu versorgen.

Koalitionsvertrag stärkt Braun- und Steinkohleverstromung

Was im Großen funktioniert, geht auch im Kleinen. Solaranlagenbetreiber können erfahrungsgemäß ein Drittel ihres Sonnenstroms selbst verbrauchen. „Mit einem Stromspeicher im Keller ist mehr als eine Verdoppelung des Eigenverbrauchs möglich“, erklärt Vorstandschef Herbert Schrein von der Varta-Micro-Gruppe. Vor allem für Besitzer neuerer PV-Anlagen mit niedrigen Vergütungssätzen lohnt sich diese Strategie: Strom vom Energieversorger kostet sie fast doppelt so viel wie Solarstrom vom eigenen Dach. Zudem stabilisieren Stromspeicher das Netz. Deshalb fördert der Staat ihre Anschaffung mit bis zu 30 Prozent. Wichtige Voraussetzung: Die Förderung muss vor der Beauftragung der Speicherinstallation bewilligt werden.

Gegen die „Umverteilung“ der Stromerzeugung hin zu dezentralen Kraftwerken in Hand von Bürgern gibt es Widerstand. Nicht vor Ort, sondern in Berlin durch die neue Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD energiepolitische Ziele genannt, die wieder mehr die Braun- und Steinkohleverstromung befördern. Und die ist in Besitz der großen Energiekonzerne EON, RWE und Vattenfall.

■ www.die-sonne-speichern.de