Volksbegehren zu den Wasserbetrieben: Unterschriften, tröpfchenweise
Jeden Tag stehen sie auf der Straße und sammeln Unterschriften. Die Latte liegt hoch für die Aktivisten vom Berliner Wassertisch. Ob es klappt ,weiß keiner.
Es ist vormittags um halb elf, als vier Menschen auf dem U-Bahnhof Schloßstraße eine Sackkarre mit Material- und Papierstapeln aus dem Lagerraum eines Einzelhändlers holen. Der Strom der zur Arbeit eilenden Bevölkerung ist schon abgeflaut, jetzt überwiegen die Einkäufer auf der Steglitzer Shoppingmeile. In mäßigem Tempo schlendern sie über den Gehweg, während die drei Männer und eine Frau hinter dem U-Bahn-Eingang einen kleinen Tisch aufbauen und Plakate an die Seiten hängen: "Berliner Wassertisch" steht darauf. Für sie beginnt jetzt die Arbeit.
Hinter dem Tisch steht Norun Speckmann. Die Frau mit den kurzen Haaren und der warmen Jacke ist fast jeden Werktag dabei. Von Montag bis Freitag, jeweils drei Stunden, seit Beginn der zweiten Stufe des Volksbegehrens im Juni. "172.000 Unterschriften sind eine ganze Menge", sagt sie. So viele müssen die Aktivisten des Volksbegehrens sammeln, damit es einen Volksentscheid geben kann. Wenn genügend Unterschriften zusammenkommen und das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf der Initiative abweist, können alle Berliner darüber abstimmen, ob die Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe offengelegt werden müssen. Unterzeichnet wurden sie vor elf Jahren: Damals verkaufte der Senat 49,9 Prozent der Betriebe an RWE und Veolia. Bislang sind die Dokumente geheim.
Doch das Sammeln läuft nur schleppend. Zur Halbzeit hatten gerade einmal 50.000 Unterstützer unterschrieben. "Um es zu schaffen, müsste es etwas besser laufen", meint auch Speckmann. Mitsammler Markus Klien ergänzt: "Unsere einzige Hoffnung ist, dass am Schluss ganz viele Listen zurückkommen." Das ist auch die Idee am Steglitzer Stand: Wer unterschreibt, bekommt gleich eine Liste in die Hand gedrückt und soll selbst in seinem Bekanntenkreis für Unterschriften werben. Regelmäßig würden volle Listen wieder abgegeben, sagt Speckmann. Wie viele direkt im nächsten Papierkorb landen, weiß niemand.
"Wasservolksbegehren, Unterschriften", ruft Klien. Er hat sich ein paar Meter entfernt positioniert und versucht, Passanten abzufangen. 20 Meter hat er, um sie zu überzeugen - so lang ist der Weg von einem U-Bahn-Eingang zum nächsten. Mehr würde aufdringlich wirken. 20 Meter ergeben wenig Zeit, um die wesentlichen Informationen zu vermitteln. Vielleicht zehn Sekunden.
Am besten ist es, die Leute verlangsamen den Schritt oder bleiben sogar stehen. Dann weiß Klien, dass Interesse da ist; dann kann er erklären und sich langsam in Richtung Stand bewegen. Doch die meisten laufen schnell vorbei und wehren den angebotenen Flyer ab.
Ein Mann geht zielstrebig auf den Stand zu, unterschreibt. Nein, er habe vorher nichts von dem Volksbegehren gewusst, sondern sich spontan entschieden, das Anliegen zu unterstützen, sagt er. Er sei prinzipiell dagegen, Wasser zu privatisieren. Eine junge Frau sagt: "Wasser geht die Bürger an, deshalb müssen die Verträge offengelegt werden." Ein älterer Herr schimpft auf die Politik im Allgemeinen und die Politiker im Speziellen. "Eigentlich müssten die sich ein neues Volk suchen, dann können sie machen, was sie wollen", sagt er. Und unterschreibt trotzdem.
Plötzlich läuft es besser. Um den Stand herum bildet sich eine Menschentraube, Paare unterschreiben, andere schauen erst neugierig und lassen sich dann überzeugen. Die drei Sammler, die nicht direkt am Stand stehen, sind in Gespräche mit Passanten vertieft, und ein Bus spuckt eine Ladung neuer, potenzieller Unterschreiber aus.
Nach zehn Minuten ist es wieder leer am Stand. Nur noch der Autolärm dröhnt von der Straße, es stinkt nach Abgasen, und ein Lkw, der an der roten Ampel hält, macht jedes Gespräch unmöglich. "Es gibt immer Schübe", erklärt Klien, und Speckmann ergänzt: "Mittwochs läuft es nicht so gut wie an anderen Tagen - warum, weiß ich auch nicht."
Kai, der gerade ein Freiwilliges Ökologisches Jahr bei Attac macht, sammelt an diesem Morgen zum ersten Mal mit. Er hat die Erfahrung eines politisch Aktiven, wenn es darum geht, Menschen anzusprechen, sich nicht abwimmeln zu lassen, zu überzeugen. Er spricht nicht viele an, aber wen er sich aussucht, der gibt meist ein paar Minuten später seine Unterschrift ab.
"In alternativ geprägten Kiezen ist es deutlich einfacher", sagt er. Hier, im bürgerlichen Steglitz, seien die Leute erst einmal skeptisch, wenn sie angesprochen werden. Aber nur in Neukölln kämen die nötigen Unterschriften eben auch nicht zusammen.
Nach zwei Stunden zählt Speckmann 30 Unterschriften: "Das ist nicht schlecht. Aber wir hatten schon bessere Ergebnisse." Überhaupt: 27 Sammeltische gibt es insgesamt, nicht alle stehen täglich auf der Straße, manche nur am Samstag, manche nur unter der Woche, andere unregelmäßig. "Das geht auch nicht anders, wenn man das ehrenamtlich macht", sagt Klien.
Und anders als ehrenamtlich gehts auch nicht: Thomas Rudek, der die Fäden des Volksbegehrens in der Hand hält, beziffert die bisherigen Ausgaben in der zweiten Stufe auf weniger als 7.000 Euro. Zum Vergleich: Initiatoren des Volksentscheids zum Flughafen Tempelhof gaben an, insgesamt eine Million ausgegeben zu haben. In die Gegenkampagne floss rund eine Viertelmillion. Die Initiative Pro Reli, die ebenfalls im vergangenen Jahr einen Volksentscheid initiierte, bezifferte ihre Ausgaben auf einen "höheren 6-stelligen Betrag".
Die Stimmung am Stand hebt sich, als ein Mann von einem Fahrrad steigt, einen Papierstapel vom Gepäckträger zieht und ihn Speckmann feierlich überreicht. "241 Unterschriften", sagt er. Rudolf Bähr heißt der Mann, und wäre der Wassertisch ein Arbeitgeber, wäre Bähr eine Art freier Mitarbeiter. Immer wieder bringt er ausgefüllte Listen vorbei, erkundigt sich nach den letzten Sitzungen der Aktivisten, nach neuen Ideen und Möglichkeiten zu sammeln. Die 241 Unterschriften stammen vom Tempelhofer Damm. Speckmann erzählt von einem Lausprecherwagen, der in weniger stark besiedelten Außenbezirken eingesetzt werden könnte, doch noch fehle es an Fahrern.
Bähr gibt sich optimistisch. Auch wenn es letztlich nicht klappe, seien immerhin viele Menschen auf das Thema aufmerksam und möglicherweise insgesamt politisiert worden. Dann erzählt er von seinen Erlebnissen beim Sammeln und mit eingefleischten Privatisierungsbefürwortern: "Man muss sich schon viel Mist anhören."
Nach drei Stunden und 76 Unterschriften packen die vier ihre Unterschriftenlisten, Postkarten, Buttons und Plakate ein und verstauen sie im Lagerraum. Morgen werden sie wieder hier stehen. Und übermorgen und nächste Woche. Bis zum 27. Oktober. Dann erst wissen sie, ob sich Zeit und Mühe gelohnt haben.
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