: „Volgssählung? Nix gehört!“
■ Für weite Teile der ausländischen Bevölkerung ist der Begriff Volkszählung bisher ein Fremdwort / Offizielle Informationen für Ausländer gleich Null / Das Wort „Boykott“ ist dennoch bekannt / Fragebögen werden nicht übersetzt
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Wenn Ende Mai in der Bundesrepublik das Volk gezählt wird, sollen plötzlich auch die zum „Volk“ gehören, die man sonst gar nicht in dieser Gemeinschaft haben will. Während bei der historischen Volkszählung des Kaiser Augustus im Jahre minus 1 noch „ein jeglicher an seinen (Geburts–)Ort ziehen mußte, werden bei der Volkszählung im Jahre 1987 auch die Bewohner mitgezählt und erfaßt, die zu diesem Anlaß nicht in ihre Heimatorte Istanbul, Saloniki oder Sofia ziehen werden. Anders als die deutschsprachige Bevölkerung, die zur Zeit von der Bundesregierung mit der teuersten Werbekampagne in der Geschichte der Bundesrepublik überzogen wird, hat man die ausländische Bevölkerung bisher davon gänzlich unbehelligt gelassen - oder besser gesagt: Man hat sie ignoriert. Die viel beschworene Akzeptanz für die Zählung ist den Verantwortlichen bei den Ausländern offenbar nicht so wichtig oder wird ganz einfach vorausgesetzt. In Berlin hat zwar die Ausländerbeauftragte, Barbara John, in einer türkischen Tageszeitung einen eindringlichen Appell zum Ausfüllen der Bögen und zur freundlichen Behandlung der Zähler gestartet. Informationsbroschüren, Plakate, Hauswurfsendungen auf türkisch, jugoslawisch oder griechisch wurden aber bisher nicht gesichtet. „Folgssählung? Nix gehört!“, meint denn auch ratlos ein auto– waschender türkischer Familienvater im Berliner Stadtteil Wedding, und auch einige U–Bahnhöfe weiter am Kottbusser Tor schüttelt einer seiner Landsleute den Kopf: „Davon weiß ich nichts. Aber ich bin ja auch neu hier. Ich komme ja aus Neukölln.“ Daß auch dort diese Befragung stattfinden soll, hat er bisher nicht gehört und interessiert ihn auch nicht. „Das werde ich sehen, wenn es kommt.“ „Wenn es kommt“ werden allerdings viele Ausländer - aber auch viele Zähler - ratlos davorstehen. In einigen Städten ist zwar geplant, kurz vor Beginn der Zählerei ein mehrsprachiges Faltblatt mit den wichtigsten Fragen zu verteilen. Den Volkszählungsbogen selber jedoch sollen die Ausländer/innen in der deutschsprachigen Fassung ausfüllen . Den Zähler/innen für bestimmte Wohnbezirke einen Dolmetscher an die Hand zu geben, war den Behörden zu teuer, den Fragebogen auch fremdsprachig zu gestalten, zu aufwändig und computertechnisch zu kompliziert. So bekommen die Ausländer/innen nur eine sogenannte „Übersetzungshilfe“ in die Hand gedrückt, mit der sie sich dann durch den Fragendschungel schlagen sollen. Wenn bei einem Rundgang durch Kreuzberg doch etliche Ausländer antworten, sie wüßten von der Volkszählung, dann haben sie dieses Wissen meist den Fernsehspots oder aber den Flugblättern der Vobo–Initiativen zu verdanken. „Volkszählung, ja Beugott“ reagiert ein junger Türke prompt auf das Thema. „Ist doch alles Kacke! Schmeiß ich alles weg, den Bogen und alles!“ Und wenn er dann ein Bußgeld zahlen muß? „Ach, ich hab schon so viele Strafen.“ Der Pizza–Bäcker an der Ecke weiß noch nicht so richtig, wie er sich verhalten wird, wenn der Zähler kommt - „Vielleicht so, vielleicht so“ -, der Döner–Verkäufer will dazu lieber nichts sagen, weil sein Chef mithören könnte, aber der Besitzer des türkischen Imbisses einige Häuser weiter weiß genau Bescheid: „Was ist schlimm an der Volkszählung? Ich habe keine Geheimnisse. Wer Geheimnisse hat, ist ein schlechter Mensch. Jeder Staat braucht Zahlen für Planung, für Sozialhilfe, für Schulen. Ich verstehe die Deutschen nicht. Es geht ihnen gut. Der Staat sorgt für sie, sie haben mehr Demokratie als überall in der Welt, warum wollen sie keine Zahlen geben?“ Und in seiner Heimat, der Türkei, da würden die Volkszählungen noch ganz anders ablaufen. Da dürfte an einem bestimmten Tag niemand das Haus verlassen, bis der Zähler da war. Nein, die ganze Aufregung der Deutschen kann er nicht begreifen. Zwei Querstraßen weiter regen sich aber doch nicht nur die Deutschen auf. „Wir sind dagegen. Wir alle!“, sagt eine palästinensische Frau, und die Umstehenden im Hauseingang nicken dazu. „Das ist nicht gut, wenn der Staat so viel wissen will. Warum muß ich sagen, wie teuer unsere Wohnung ist? Dann steigt die Miete wieder. Wir würden gern boykottieren, aber wir wissen nicht, wie. Das ist für uns Ausländer ein großes Problem.“ Bei diesem Problem können auch die Boykottinitiativen den Ausländern nicht viel weiterhelfen. Die meisten Gruppen raten den Ausländer/innen, sich nicht am Boykott zu beteiligen oder den Bogen spätestens dann auszufüllen, wenn das erste Mahnschreiben kommt. Andernfalls könnte es bei einem ungesicherten Aufenthaltsstatus Schwierigkeiten mit der Ausländerpolizei geben. Auf ihre Weise boykottieren dagegen die türkischen Frauen schon allein meine Frage nach dem Thema Volkszählung. Abwehrend und schweigend verweigern sie jegliche Antwort. Wenn sie, Ende Mai, mit ähnlicher Geste die Wohnungstür öffnen, dann liebe Zähler, viel Spaß beim Fragen!
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