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Archiv-Artikel

Vokabular der Angst

Noch bleibt in Mexiko das Wahlergebnis umstritten. Doch Andres Manuel López Obrador dürfte wohl am Vorwurf des „Linkspopulismus“ gescheitert sein. Warum eigentlich?

Dass der angebliche Wahlverlierer das Ergebnis nicht annimmt, scheint den Vorwurf zu belegenHinter dem Vorwurf des Linkspopulismus steckt die Angst vor Unberechenbarkeit. Die ist unbegründet

Zu den Wahlen in Mexiko schrieb eine Schweizer Tageszeitung von den „Schlangenbeschwörern“, die den lateinamerikanischen Kontinent heimsuchen. Auch von „Heilsbringern“ und „Volkstribunen“ war allerorten die Rede und geradezu gebetsmühlenartig, auch in dieser Zeitung, von „Linkspopulismus“.

Der Wortlaut deckt sich mit der beispiellosen Angstkampagne der Rechten im mexikanischen Wahlkampf. „Er ist eine Gefahr für Mexiko“, behauptete der Rechtskandidat Felipe Calderón von seinem Kontrahenten López Obrador. Der „tropische Messias“, wie eine mexikanische Monatszeitschrift titelte, sei zwar bei den Massen beliebt, werde aber die Investoren verschrecken und das Land im Krisenchaos versinken lassen.

Dass der vermeintliche Wahlverlierer derzeit eine Neuauszählung der Stimmen fordert und dafür letzten Sonntag mehr als eine Million zorniger Menschen auf die Straße gingen, ist Wasser auf die Mühlen der Warner. Dabei lässt sich kaum eine weniger umstürzlerische Forderung denken: keine Revolte, keine Annullierung, schlicht das Nochmalzählen sämtlicher Stimmzettel – nach einer in der Tat verdächtigen Häufung von „Ungereimtheiten“ im ersten Durchgang der Zählung.

Überhaupt tut sich bei vielen Kritikern ein denkwürdiges Demokratieverständnis kund. Bürger in demokratisch instabilen Weltregionen sind offenbar erst dann vollwertige Bürger, wenn sie rechte Demokraten wählen: So wie in Mexiko vor sechs Jahren den ehemaligen Konzernmanager Vicente Fox, dem das – wenn auch einzige – Verdienst zukommt, die mafiöse Staatspartei der Institutionalisierten Revolutionäre aus dem Präsidentenpalast verjagt zu haben. Damit öffnete sich immerhin die Tür zu einem halbwegs normalen politischen Wettbewerb: wirtschaftsliberale Kontinuität mit repressiv-klerikalem Überbau gegen ein sozialdemokratisches Projekt, das die öffentliche Hand stärken und die Armut bekämpfen will.

Für wen sich die Wahlbürger in Mexiko entschieden haben, werden die Gerichte zu klären haben. Doch wenn sie, wie in Brasilien, Venezuela oder Bolivien, für linke Kandidaten stimmen, werden sie als Fußvolk von Volkshelden und Caudillos denunziert, zu „Pilgern“ von „Polit-Predigern“ oder als leicht zu bezirzende Schlangenbrut.

Ein interessantes Menschenbild spricht aus diesem Manöver: der populistische „Volkstribun“ wird als verführerischer Irrer konstruiert, mit den Attributen der Irrationalität und Demagogie ausgestattet und im Feld des Religiösen angesiedelt. Dagegen steht dann die marktliberale „Vernunft“, die „Verantwortung“, „Stabilität“ und die Akzeptanz „der Globalisierung“ umfasst, kurz: das Reich der realen Politik.

Natürlich kann und sollte man den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und seine zuweilen groteske Selbststilisierung kritisch beäugen. Auch vom Bolivianer Evo Morales hört man in Sachen demokratischer Kultur nicht nur Mustergültiges. Schließlich scheint auch der vehemente Nachwahlprotest von López Obrador zuweilen eher an die Volksseele als an die Institutionen zu appellieren. Allein: Alle drei beziehen ihre Legitimität aus einem vergleichsweise freien Politwettbewerb – was sie vom máximo lider Fidel Castro, mit dem sie so gerne in den Topf des „dumpfen Linkspopulismus“ geworfen werden, grundlegend unterscheidet.

Doch demokratische Legitimation ist für den Kampfbegriff „Populismus“ interessanterweise eher nachrangig: Es geht um nichts als die Pathologisierung des Gegners. Zur Analyse ist er daher untauglich – übrigens ähnlich wie das beliebte Negativ-Mantra des „Neoliberalismus“, das allzu oft eher der Dämonisierung des Gegners als der ökonomischen Analyse dient.

Was aber steckt hinter dem Vorwurf des „Linkspopulismus“? Ist es Furcht vor Umverteilung oder gar einer Rache der Armen? Neid auf den ungewohnten Erfolg der Linkspolitiker in der Region? Möglich. Vor allem aber wohl die Angst vor einer neuen Unberechenbarkeit.

Die aber ist eher unbegründet. Zwar würde López Obrador in Mexiko sozialpolitisch neue Akzente setzen. Es würde mehr Geld geben für arme Alte, für Krankenhäuser und höhere Schulen für Mittellose. Finanzieren wollte er dies aber, für einen Linken eher untypisch, durch eine rigide Sparpolitik in der Ministerialbürokratie. Und dadurch, dass die Steuerprivilegien der Bestverdiener gekappt werden. Das wirtschaftspolitische Ruder bliebe, so oder so, festgezurrt. Explizit ausgeschlossen hatte López Obrador eine Lockerung des makroökonomischen Dogmas, demzufolge Inflation und Staatsverschuldung um jeden Preis zu vermeiden seien.

Dennoch wurden Unternehmerverbände und die rechte Presse nicht müde, das Schreckensbild eines „mexikanischen Chávez“ zu beschwören. Mit diesem hat López Obrador nun so gut wie nichts gemein. Nicht nur, weil ihm im Unterschied zu dem ehemaligen Putschgeneral kein militärischer Stallgeruch anhaftet. Sondern vor allem deshalb, weil sich der Mexikaner in den letzten Jahren gerade nicht als revolutionärer Rhetoriker, sondern als bodenständiger Pragmatiker mit Sinn für Macht und Machbarkeit behauptet hat.

Gerade seinen Pragmatismus machen ihm die Zapatistas, die derzeit für eine „antikapitalistische Bewegung von unten“ werben, zum größten Vorwurf. Den Urnengang hatten sie von vornherein als „Farce“ abgelehnt. An Massenwirkung haben die Maskierten aus dem Süden in letzter Zeit deutlich eingebüßt. Ihre „andere Kampagne“ hat nur eine Überlebenschance, wenn es ihr gelingt, eine – hoffentlich auch weiterhin libertäre – Linke zu bündeln, die den politischen Raum jenseits von Partei- und Regierungspolitik erweitert.

Doch vorerst geht es den meisten Mexikanern um Diesseitiges, nämlich den Präsidentenpalast. Kein Zweifel: nicht nur Mittelschichten und Unternehmer haben rechts gewählt, auch eine Menge so genannter kleiner Leute. So gesehen, war die im medialen und politischen Establishment geschürte Panikmache erfolgreich. Andererseits haben sich selbst nach den offiziellen Zahlen mehr als 35 Prozent für die „linke Gefahr“ entschieden.

Unabhängig davon, wen die Wahlbehörden am 6. September zum Sieger erklären: Schon heute zeigt Mexiko die anhaltende Popularität der Linken in Lateinamerika. Und die hat weniger mit „populistischer“ Großmäuligkeit zu tun als mit ihrer symbolischen Botschaft: dass sie überhaupt möglich ist, die Rückeroberung des Politischen. Dass Politik komplexer ist als das betriebswirtschaftliche Management ganzer Volkswirtschaften. Und dass, wie López Obrador auf seiner Abschlusskundgebung in schönstem Pathos formulierte, „nicht immer das Geld über die Moral siegen muss“.

Gemeint war, so ist zu hoffen, kein Kanon moralischer Werte, sondern ein Set an Prinzipien und Prioritäten, die das politische Handeln strukturieren. Eine schlechte Nachricht ist das nur für Beschwörungstheoretiker, die nichts als die Moral des freien Marktes kennen.

ANNE HUFFSCHMID