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Archiv-Artikel

Völlige Verlustanzeige

Kleidung einer ideologischen, keiner käuflichen Welt: Die Ausstellung „Die Modefotografie in Berlin in den Dreißiger Jahren“ zeigt, wie die Mode unter den Nazis alles verlor, was sie zur Mode machte

VON BRIGITTE WERNEBURG

Das Model in der Jacke aus getupfter Seide und der hellen Hose, das Rolf-Werner Nehrdich 1940 aufnahm, erinnert unwillkürlich an Katharine Hepburn, wie sie sportlich und immer ein wenig eckig gekleidet, in ihren Rollen als Journalistin oder Rechtsanwältin an der Seite von Spencer Tracy agiert. Rolf-Werner Nehrdich fotografierte freilich nicht in Hollywood, sondern in Berlin. Was einen entscheidenden Unterschied macht, auch wenn der Anschein trügt.

Seine Aufnahme gehört zu den Exponaten, die uns erstmals „Die Modefotografie in Berlin in den Dreißiger Jahren“ nahe bringt. Die von Adelheid Rasche verantwortete Ausstellung in der Kunstbibliothek schlägt ein nahezu unbekanntes Kapitel der Mode- und Fotografiegeschichte auf. Es handelt von der ästhetischen Moderne und wie sie im Nationalsozialismus als von allem Fremden gereinigte Moderne eigener Machart wiederkehrt. Darüber hinaus verweist die Ausstellung auf ein Stück böser Stadtgeschichte, denn die Modeindustrie wie auch die Presse Berlins verdankte ihre international herausragende Position Anfang der 30er-Jahre vor allem ihren jüdischen Produzenten und Mitarbeitern, die nach 1933 aus dem öffentlichen Leben der Stadt ausgeschaltet und schließlich gänzlich vertrieben wurden.

So gesehen kann von Mode spätestens nach 1938, als dieser Prozess vollzogen war, keine Rede mehr sein. Und das belegen die Fotografien durchaus. Gleichzeitig zeigen sie, dass nicht blonder Zopf und Tracht, sondern ein zeitgenössisches, modernes Outfit im Zentrum einer „zweckmäßig-geschmackvollen, deutschen Kleidung“ stand, wie sie sich das „N. S. Frauenbuch“ von 1934 wünschte. Trachten in Deutschland erwiesen sich als regional und konfessionell zu sehr eingebunden, um sie ideologisch instrumentalisieren zu können. Tatsächlich lässt sich in der Ausstellung sehr schön beobachten, wie im Fortgang der 30er Jahre anstelle der ursprünglichen Trachtenadaptionen der Einfluss der Uniform und damit eine maskuline Note in der Damenmode immer deutlicher wird. Weil diese Tendenz aber auch in der internationalen Mode der Zeit beobachten ist, funktioniert die spontane Erinnerung an Katharine Hepburn.

Sonja Georgi, die ihre Modelle gerne auf der Straße – etwa vor dem 1930 von Emil Fahrenkamp entworfenen Shell-Haus am Reichpietschufer – aufnimmt, sie vor das neue Olympiastadion stellt, macht mit diesen Aufnahmen klar, warum kein Weg um moderne Kleidung herumführte. Die technische Moderne, auf die der Nationalsozialismus ja setzte, verlangte einen pragmatischen Kleidungsstil. An Mänteln sind breite Schultern und Gürtel mit dicken Schnallen zu beobachten, an ähnlich geschnittenen Kostümen mit großen Knöpfen fallen die stetig kürzer werdenden Rocklängen auf, Hosen sind erlaubt. Über den gezeigten Zeitraum hat aber die Kleidung ganz offenkundig verloren, was sie erst als Mode qualifiziert: ihren transistorischen, wankelmütigen und frivolen Charakter – ihre moderne Negativität.

Dieser Verlust prägt auch die Modefotografie. Das Licht im Hintergrund ist feierlich und die Architektur monumental, am liebsten aus Marmor und ewig. Die Models wirken statuarisch, schon weil sie meist von unten aus fotografiert wurden, was sie heroisch vergrößert und streckt. Nur Imre von Santho gelingen Modefotos von auffälliger Lässigkeit, voll bauhausaffiner Untersichten, die die Avantgarde und nicht den monumentalen Neoklassizismus zitieren. Doch ab 1938 verlieren sich seine deutschen Veröffentlichungen, erst nach dem Krieg findet sich seine Spur in Budapest wieder, wo er 1946 stirbt.

Neben den Bildern der elf ausgewählten Fotografen aus der Sammlung der Lipperheideschen Kostümbibliothek zeigen Objekte, Accessoires, Zeitschriften und Bücher den Kontext, in dem die Bilder veröffentlicht wurden. Anders als in den angelsächsischen und französischen Zeitschriften dienen die Modestrecken hier ganz offenkundig einer ideologischen, keiner käuflichen Welt. Ein weiterer, entscheidender Verlust, der die Stadt Berlin noch heute schmerzt. An ihm arbeitet sie sich noch immer ab. Die kleine Ausstellung in der Kunstbibliothek kratzt also, ob sie das nun will oder nicht, noch einmal an einer Wunde, die durch Wirtschaftsförderung, Messen und Events, durch die Beschwörung von Glamour, prominenten Namen und durch eine inzwischen wieder in Berlin ansässige Politik, die ein durchaus instrumentelles Verhältnis zu den erwähnten Anstrengungen pflegt, eben nicht zu schließen ist.

Bis 24. Juli, Kunstbibliothek, Kulturforum am Potsdamer Platz, Di.–Fr. 10–18, Sa., So. 11–18 Uhr, Katalog 17 Euro