Völkerrechtler über deutschen Einsatz: "Piraten sind einfach nur Kriminelle"
Die Bundeswehr-Fregatte "Karlsruhe" hat am Dienstag ihren Anti-Piraten-Einsatz begonnen. Völkerrechtler Wolfrum über die juristischen Hintergründe der deutschen Anti-Piraten-Mission.

taz: Herr Wolfrum, am Dienstag hat die Bundeswehr-Fregatte "Karlsruhe" ihren Anti-Piraten-Einsatz begonnen. Was passiert eigentlich, wenn Piraten festgenommen werden?
Rüdiger Wolfrum: Laut Grundgesetz muss eine erste Haftprüfung spätestens am Ende des Tages, der auf die Festnahme folgt, stattfinden. An Bord eines Kriegsschiffes lässt sich diese Frist aber wohl kaum einhalten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat deshalb in zwei ähnlichen Verfahren gesagt, es genüge, wenn die inhaftierten Personen unverzüglich zum nächsten Hafen gebracht werden. Das könne auch ein paar Tage dauern. Damals ging es um Schiffe im Atlantik, die Drogendealer aufgefischt hatten.
taz: Was hat dann am nächsten Hafen mit festgenommenen Piraten zu geschehen?
Wolfrum: Dort müssen sie entweder der örtlichen Justiz übergeben oder einem deutschen Richter präsentiert werden - zum Beispiel in der deutschen Botschaft.
taz: Die Bundesregierung will ja eher verhindern, dass Piraten vor deutsche Gerichte gestellt werden. Sie hat wohl Angst, dass man sie nach Strafverbüßung nicht mehr los wird.
Wolfrum: Dieser Linie würde ich nicht folgen. Für die Strafverfolgung von Piraten ist die Justiz weltweit zuständig, es gilt das so genannte Universalitätsprinzip. Deshalb sollten sich auch Staaten wie Deutschland vor dieser Aufgabe nicht drücken. Außerdem wird man in der Region kaum einen Staat finden, der Piraterie nicht mit der Todesstrafe bedroht, was eine Überstellung an dessen Justiz ausschließt.
taz: Vor welchem Gericht würden die Piraten in Deutschland angeklagt?
Wolfrum: Für Verbrechen auf Hoher See ist laut Strafprozessordnung im Zweifel das Landgericht in Hamburg zuständig.
taz: Und für welche Delikte können Piraten dann in Deutschland belangt werden?
Wolfrum: Den Straftatbestand der Piraterie gibt es zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber zum Beispiel den "Gefährlichen Angriff auf den Seeverkehr" oder die "Geiselnahme". Beides wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
taz: Was halten Sie von dem Vorschlag von Verteidigungsminister Jung, einen speziellen Seestrafgerichtshof für Piraten einzuführen?
Wolfrum: Davon halte ich nicht viel. Piraten sind doch einfach nur Kriminelle. Denen sollte man nicht so viel Ehre antun, für sie auch noch einen eigenen Gerichtshof zu schaffen. Dieser müsste ja auch erst einmal gegründet werden, was vermutlich Jahre dauern würde. Und dann müssten sich Staaten bereit finden, die Strafen zu vollstrecken. Da sollte man doch besser gleich auf die nationale Justiz setzen.
taz: Was ist mit dem Internationalen Seegerichtshof, an dem Sie Richter sind?
Wolfrum: Dieser Gerichtshof ist schon deshalb nicht für die Piratenverfolgung geeignet, weil seine Richter Völkerrechtler sind und keine Strafrichter. Sie sind Experten für die Lösung seerechtlicher Streitigkeiten zwischen Staaten, aber nicht zur Aufklärung von Verbrechen auf See.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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