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Völkerrecht und KriegsbegriffSigmar Gabriels Sprachgefechte

Der SPD-Chef Sigmar Gabriel greift die Bundesregierung verbal an, weil sie die Lage in Afghanistan als "Krieg" bezeichnet. Der Begriff sei zudem überholt.

Sigmar Gabriel: Am Hindukusch läge kein klassischer Konflikt "Staat gegen Staat" vor. Bild: dpa

FREIBURG taz | Angesichts der verfahrenen Situation in Afghanistan flüchtet sich SPD-Chef Sigmar Gabriel in Sprachkritik. Wenn die Bundesregierung von "Krieg" spreche, brauche die Bundeswehr einen neuen Einsatzbeschluss des Bundestags - für den es wohl keine Mehrheit gebe. Außerdem sei ein "Krieg" in Afghanistan völkerrechtlich nicht vom UN-Mandat gedeckt, sagte Gabriel in der Frankfurter Rundschau.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) benutzt den Begriff "Krieg" im Zusammenhang mit Afghanistan allerdings nicht juristisch, sondern nur umgangssprachlich. Meist sagt er dies ganz ausdrücklich dazu. Bei der Trauerfeier für die drei zuletzt getöteten deutschen Soldaten hat er diese Einschränkung erstmals weggelassen, sie aber auch nicht aufgegeben. "Was wir am Karfreitag bei Kundus erleben mussten, bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg. Ich auch."

Es ist auch sachlich korrekt, dass Guttenberg den Begriff "Krieg" nicht im juristischen Sinne anwenden will. Zum einen ist der Kriegsbegriff überholt, denn das Völkerrecht spricht heute von "bewaffneten Konflikten", bei denen es auf eine förmliche Kriegserklärung nicht mehr ankommt. Zum anderen liegt am Hindukusch auch kein klassischer Konflikt "Staat gegen Staat" vor, denn Deutschland kämpft ja nicht gegen den Staat Afghanistan, sondern an der Seite der afghanischen Regierung gegen bewaffnete Aufständische, also die Taliban.

Zu Recht spricht Guttenberg, wenn er exakt sein will, schon seit Monaten von einem "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt". Die Bundesanwaltschaft hat diese juristische Bewertung im März bestätigt. Rechtliche Bedeutung: Im bewaffneten Konflikt dürfen deutsche Soldaten generell auf Taliban schießen - nicht nur in Notwehr. Dies ist aber sowohl vom Mandat des Bundestags als auch vom UN-Mandat des Sicherheitsrats gedeckt.

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12 Kommentare

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  • S
    Sondermann

    Die Argumentation, dies sei ein "nicht-internationaler" bewaffneter Konflikt, finde ich unlogisch. Heißt denn "natio" nur Staat, nicht auch Volk, Bevölkerung? Dann müsste ein bewaffneter Konflikt zwischen verschiedenen NATO-Armeen inklusive der Bundeswehr und afghanischen Widerstandsgruppen (Taliban, Hezb-i-Islami, Usbeken, etc.) international sein: denn die Widerstandsgruppen repräsentieren einen nicht unerheblichen Teil der afghanischen Bevölkerung.

    Fazit: Es handelt sich auch juristisch um einen Krieg!

  • W
    Wahnsinn

    Vom 'kriegsähnlichen Zustand' über 'Krieg im Sinne der Umgangssprache' bis 'verständlicherweise ein Krieg'. Und, mal ganz im Ernst: Afghanen erschiessen deutsche Soldaten, Deutsche erschiessen afghanische Soldaten (angeblich irrtümlich), afghanische Zivilisten und 'Gotteskrieger': warum sollte das kein Krieg sein? Und es war Herr Gabriel, der immer wieder engagiert für diesen Krieg eintrat. Was nun? Gutti sorgt für viel mehr Waffen und noch mehr Soldaten. Und dann? Einen guten Vorschlag fand ich als Leserkommentar in der TAZ: 'Also bleibt uns zum eigenen Schutz unserer westlichen Welt nur noch eine Möglichkeit: die totale Besatzung'. Genau, totale Besatzung, totaler Krieg.

  • HS
    Harald Söll

    als Spd - Mitglied kann man sich für seinen Vorstzenden in und für diese Diskussion nur noch schämen. Gabriel hat von Anfang an mit für den Einsatz gestimmt. Dass dieser Einsatz immer kritisch begleitet werden muss, sollte für Alle selbstverständlich sein. Diejenigen, die ernsthaft glaubten, unsere Soldaten hätten nur einen humanitären Einsatz zu leisten, sollten sich auf ihren Geisteszustand hin untersuchen lassen. Vor allen Gabriel!

  • A
    Andrea

    Das ist typisch deutsch!

    Wir müssen erst einmal definieren was Krieg ist, welche Gefechtshäufigkeit vorhanden sein muss und ob die Kriegsparteien die Formalitäten, fristgerecht, eingehalten haben. Sonst wird dem Antrag auf Kriegserklärung nicht stattgegeben.

    Die eigentliche Frage ist doch:

    Sind wir bereit viele tote deutsche Bundeswehrsoldaten zu akzeptieren!

  • A
    audio001

    Erst einmal muss man feststellen, dass auch die "alte" SPD mit einer kaum zu übertreffende Passivität, denn Afghanistaneinsatz der Bundeswehr begleitet hat und jegliche kritische Diskussion über die Art und Weise des Einsatzes in der Vergangenheit hat vermissen lassen!

     

    Dieses war vor der Wahl offensichtlich dem parteipolitischen Kalkül geschuldet die "Große Koalition" fortsetzen zu können und nach der Wahl dem Ansatz - nach dem Scheitern von schwarz/gelb - wieder eine Neuauflage der Großen Koalition begünden zu können!- Im Übrigen war die Situation heute und Anfang 2010, als also das Mandat verlängert wurde, keine andere!

     

    Wenn sich also große Teile der SPD Bundestagsfraktion vorbehaltlos unkritisch hinter die difuse angebliche "neue" Afghanistanstrategie der Regierung Merkel mit ihrer Entscheidung zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes gestellt haben, ist das rational nicht nachvollziehbar!

     

     

    D.h., auch dieses Vorgehen der SPD war offensichtlich parteipolitischem Kalkül geschuldet, ohne dass es in irgendweiner Weise den in Afghanistan eingesetzten Soldaten hilft, noch das es dazu anhält (endlich!) über eine zukunftsfähige Strategie für Aghanistan nachzudenken!- Denn, das was die Regierung Merkel nunmehr versucht als "neue" Strategie der Öffentlichkeit zu verkaufen ist, im Grunde genommen die "alte" mit einem neuen Label!

     

     

    Solange nicht endlich de Bundeswehreinsatz kritisch aufgearbeitet wird und die Frage nach dem Grund des Scheiterns beatwortet werden kann, kann es auch keine schlüssige "Strategie" für Aghanistan geben!

     

     

    Und hierbei ist auch die SPD gefordert ihre Entscheidungen der Vergangeheit einer kritischen Würdigung zu unterziehen.- Mithin kommt die SPD auch nicht umhin, den Bürger in diesem Land eine klare Vorstellung davon zu geben, wie sie sich eine Fortführung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan vorstellt.- Nur auf das Versagen anderer zu verweisen hilft jetzt nicht mehr weiter und wird auch vom wählenden Bürger nicht honoriert!

     

     

    Wer politisch mitgestalten will und (wieder) politische Verantwortung in einer Regierung übernehmen möchte, der muss auch in der Lage sein der Öffentlichkeit seine Vorstellungen zu kommunizieren.- Und das scheint derzeit noch nicht ausreichend in der SPD-Spitze verinnerlicht worden zu sein!?

  • JO
    Jürgen Orlok

    "Deutschland kämpft ... an der Seite der afghanischen Regierung gegen bewaffnete Aufständische, also die Taliban. "

    Merkt hier eigentlich noch Irgendjemand Irgendentwas ??

     

    Gewaltsamer Regime-Change ist also heute eine legitime Form politischen Handelns.

    Dann hat jede Form "terroristischen Handelns" die gleiche Legitimation, außer das der StaatsCharakter fehlt.

    Es gab mal so etwas wie, aus Unrecht kann kein Recht erwachsen ...

     

    Ich hoffe eure Alpträume, die sich so in dieser Form manifestieren werden noch übertroffen ...

     

    Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an "Deutschland im Herbst".

    Aber im Vergessen ist die Generation 68ff ja 'päpstlich' und Reflexion überforderte schon Dutschke un Co.

  • LL
    lila luder

    Wieder einmal geht es um die Frage: Wer hat in diesem Land eigentlich die Definitionshoheit? Die taz, die Bundesanwaltschaft, Herr Gabriel, Kriegsminister Gutti oder die umgangssprachlich basisnähere Leserschaft? Die Amis sind zum Schießen da und die Deutschen stehen Schmiere. Diese Arbeitsteilung täuschte mich von Anfang an nicht darüber hinweg, dass es sich trotz der problemflankierenden Sprachregelungsanästhesie "bewaffneter Konflikt" um einen Krieg handelt. Einfach mal die Opfer fragen.

  • V
    vic

    Wo er Recht hat...

    Der CDU gelingt es, sogar den klar definierten Begriff "Krieg" nach Belieben zu verbiegen und zu instrumentalisieren.

    Wenn´s in den Kram passt ist es Krieg.

    Bevor "Krieg" jedoch unbequeme Konsequenzen hätte, wird er schnell hinter immer neuem Wortgedrechsel verborgen.

  • MH
    Manfred Hill

    Man kann es drehen wie man will, es werden wieder Söhne im Sarg nachhause gebracht, gefallen in einem Land in dem wir nichts zu suchen haben.

    und wer sind Taliban? Das ist nämlich gar nicht so einfach zu klären. Aber es ist ein schönes Feindbild!

  • C
    Charlot

    Wenn wir uns im Krieg befinden, ist es dann nicht genauso legitim, dass auch der Gegner in Deutschland Bomben legt, ohne dass dieses ein Verbrechen ist. Soll das eine Einladung sein? Deutschland endlich wieder im Krieg! Hurraaaa!

  • EW
    erik weber

    verlogen, verlogener, SPD.

    Aber Recht hat er - das nennt sich nicht Krieg, das ist Buergerkrieg.

    Nein, nicht aufregen.

  • B
    Barbie

    Er bedient sich weiterhin der unter Schröder zur Perfektion erhobenen, und von allen Parteibonzen (Kraft, Steinmeier u.a.) erlernten, Vertuschungssprache.