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Vobo–Richter lassen EDV entscheiden

■ Mit Hilfe von sogenannten „Textbausteinen“ kann das Verwaltungsgericht Neustadt in drei Tagen Anträge von Volkszählungsgegnern „entscheiden“ / „Schließlich kommen doch meist gleichartige Argumente“

Neustadt/Weinstraße (taz) - Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt, Steidel ist hörbar stolz. Innerhalb von zwei oder drei Tagen, so protzt er gegenüber der taz, könne seine Kammer die Anträge der Volkszählungsgegner im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ablehnen. Zu der für Gerichte außergewöhnlich schnellen Bearbeitung haben sich die Richter „so 30 bis 40 Argumente erarbeitet“. „Irgendwann“, sagt Steidel, „haben wir uns unsere Gedanken gemacht“ und die entsprechenden Rechtsauffassungen überlegt. Gut formuliert packte man das dann in Textbausteine der modernen Datenverarbeitung. „Schließlich kommen doch meist gleichartige Argumente der Volkszählungsgegner.“ Allerdings, fügt er hinzu, prüfe man „natürlich auch den Einzelfall“. Daß dem nicht immer so ist, mußten dagegen zwei Kläger aus der rheinland–pfälzischen Gemeinde Böhl–Iggelheim erfahren. Mittels Textbausteine wurde ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verpflichtung zur Auskunft bei der Volkszählung abgelehnt. In dem Beschluß des VG Neustadt (Akt.–Z. 8 L 86/87) gehen die Richter dabei auf Schriftsätze und Argumente der Antragsteller ein, die diese nie vorgebracht hatten. Zum Beispiel wird da ein Schreiben eines unzuständigen Beigeordneten er wähnt, das die Antragsteller „ohne Erfolg rügen“. Doch dieses Schreiben hatten die zwei Volkszählungsgegner nie erhalten und dies weder vorgelegt noch in ihrer Klageschrift erwähnt. Tatsächlich allerdings stammt diese Passage des Beschlusses wortgleich aus einer anderen Entscheidung des VG mit dem Akt.–Z. 8 L 85/87. Steidel und seine Richterkollegen vertauschten in der Entscheidung gar ein zweites Mal die Textbausteine. „Daß die nach ... erforderlichen Landesgesetzen derzeit noch fehlen, führt gleichfalls nicht zur Verfassungswidrigkeit des Volkszählungsgesetzes. Denn hier übersehen die Antragsteller,..“. „Fehlanzeige“ meint dazu der Mannheimer Rechtsanwalt, Günther Urbancyk, denn seine Mandanten hatten kein Sterbenswörtchen zu dem angeblich fehlenden Landesgesetz vorgetragen. Dieses Argument findet sich jedoch in den verschiedenen Argumentationsfibeln gegen die Volkszählung. Daß die Gerichte sich der modernen Datenverarbeitung bedienen, kritisiert der Mannheimer Rechtsanwalt nicht. Doch das die Gerichte jetzt aus „vermeindlichen Effektivitätsgründen wilkürlich“ Textbausteine einsetzen, verletzt nach Überzeugung von Günter Urbancyk „in eklantanter Weise den Grundsatz des rechtlichen Gehörs“, weil das Gericht „offenbar in Unkenntnis der Antragsschrift entschieden“ habe.

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