piwik no script img

Vizepräsident Spies über den FC St. Pauli"Wir müssen die Balance finden"

Bernd Spies, Vizepräsident des FC St. Pauli über kommerzielle Verlockungen, den weiteren Stadionneubau und das Ende der Ehrenamtlichkeit des Präsidiums.

Wichtiger Faktor für die Diskussionskultur des FC St. Pauli: die Fans. Bild: dpa

taz: Herr Spies, was sagen sie den Fans, die fürchten, nach dem Bundesliga-Aufstieg wäre der Kommerzialisierung beim FC St. Pauli Tür und Tor geöffnet?

Bernd-Georg Spies: Die Besorgnis, dass die Besonderheit dieses Vereins auf dem Altar des Kommerzes geopfert werden könnte, ist durch den Aufstieg gewachsen. Die Frage lautet: Müssen wir alles mitmachen, was der Markt einem an kommerziellen Möglichkeiten bietet? Meine klare Antwort heißt: Nein!

Genauer bitte!

Es wird hier kein Maskottchen auf dem Platz herumrennen und kein Sponsor die Eckbälle präsentieren - das passt nicht zum Verein. Und ich bin inzwischen auch der Auffassung, dass der Stadionname nicht veräußert werden sollte.

Was ist die Alternative?

Der Erfolg der vergangenen Jahre zeigt: Auch oder gerade wenn der Club behutsam vermarktet wird, kann er erfolgreich vermarktet werden. Dabei muss die Balance zwischen den kommerziellen Erfordernissen und dem Charakter dieses Clubs immer wieder neu verhandelt und austariert werden. Der FC St. Pauli wird diskussionsfreudig bleiben und über dieses Thema heftiger streiten als andere Vereine.

Bernd-Georg Spies, 55

ist seit 2007 Vizepräsident des FC. St Pauli und arbeitet hauptberuflich als Personalberater für die Firma Russell Reynolds.

Was aber nicht verhindert, das etwa langjährige Stammgäste der Haupttribüne durch neue Business-Seats an den Tribünenrand verdrängt werden.

Es ist klar, dass es durch die Etablierung neuer, teurerer aber auch ökonomisch notwendiger Sitzplatzangebote auch zu Konflikten und Härten im Einzelfall kommt, die der Verein mit viel Fingerspitzengefühl ausgleichen muss. Wichtig ist hierbei die Frage, ob die Etablierung von 2.400 Business-Seats und 28 Logen in der Haupttribüne der Fußball am Millerntor in der Wahrnehmung der Fans nicht zu einer reinen Geschäftsfreunde-Veranstaltung verkommt.

Diese Wahrnehmung gibt es bei einigen Fans.

Mit Blick auf die Haupttribüne kann man diesen Eindruck auch bekommen. Deshalb sehen wir uns die Planungen für die neue Nordtribüne und die Gegengerade noch einmal unter dem Blickwinkel an, hier mehr preisgünstige Sitzplätze zu schaffen, als ursprünglich geplant.

Wie sehen die aktuellen zeitlichen Perspektiven des Stadionneubaus aus?

Als nächstes ist die Gegengerade dran, bei der wir hoffen, sie in der spielfreien Zeit abreißen und durch einen Neubau ersetzen zu können. Da dies nur in einer durch eine Europa- oder Weltmeisterschaften verlängerten Sommerpause möglich sein wird, besteht frühestens im Sommer 2012 diese Möglichkeit.

Dann gibt es mehr Platz auch für so genannte Modefans. Wird der Charakter der Fanschaft und Atmosphäre im Stadion sich dadurch verändern?

Wir können ja nicht nur die Zuschauer ins Stadion lassen, die schon vor fünf Jahren bei Sturm und Schnee in der Regionalliga ausgeharrt haben. Ich halte unsere Fankultur für so stark, dass sie auch die Leute, die neu zu uns kommen, so infizieren wird.

Auf der anderen Seite stehen Fangruppen wie Ultrà St. Pauli (USP), die sich der weiteren Kommerzialisierung des Systems Fußball nach Kräften widersetzen.

Ich stimme nicht mit allen kommerzkritischen Stimmen in der Fanschaft immer überein, aber sie sind ein unglaublich wichtiger Faktor für die Diskussionskultur des Vereins. Mich haben diese Stimmen etwa davon überzeugt, dass der Verkauf des Stadionnamens keine gute Idee ist. Das "Regierungsprogramm" des Präsidiums ist, mit den Fangruppen einen noch engeren und regelmäßigen Dialog zu führen.

Bei aller Liebe zur Basisdemokratie: Ist es verantwortbar, dass ein Unternehmen mit zweistelligem Millionenumsatz als oberste Entscheidungsinstanz eine Mitgliederversammlung hat?

Diese Struktur hilft dabei, wirtschaftliche Erwägungen und die Seele des Vereins besser auszubalancieren. Und sie hat in der Vergangenheit, etwa bei den Konflikten zwischen Aufsichtsrat und Präsidium einen heilsamen Einigungsdruck ausgelöst. Deshalb bin ich für die Beibehaltung dieser Struktur…

… und damit auch gegen die Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Gesamtverein.

Das ist ein anderes Thema. In der Höhenluft, in der sich der Profibereich heute bewegt, wachsen auch die ökonomischen Risiken, die den Gesamtverein in Mitleidenschaft ziehen könnten. Wir müssen einen Weg finden, die sporttreibenden Abteilungen davon freizustellen. Es darf nicht passieren, dass die Kasse der Handballabteilung geräubert werden muss, um die Gläubigerforderungen aus dem Profibereich zu bedienen. Wie dieser Weg aussieht, ist noch nicht klar.

Wo liegen für Sie die Grenzen der Einflussnahme von Sponsoren und Partnern aus der Wirtschaft auf den Verein?

Eine Einflussnahme von Privatinvestoren auf den sportlichen Bereich darf es nicht geben, weil dadurch die demokratisch legitimierte Grundverfassung des Vereins aushebelt wird.

Andere Vereine gehen den Weg, dass Wirtschaftsunternehmen ihnen Spieler kaufen.

Das ist kein gangbarer Weg für den FC St. Pauli.

Lässt sich dieser expandierende Verein auf Dauer noch durch ein rein ehrenamtliches Präsidium führen?

Die Frage muss man immer wieder neu stellen. Alle drei Präsidiumsmitglieder sind beruflich voll eingespannt. Nach einen langen Arbeitstag regelmäßig noch einmal mehre Stunden Arbeit für den Verein zu absolvieren, hält niemand auf Dauer durch. Das rein ehrenamtliche Modell stößt deshalb allmählich an seine Grenzen.

Heißt das, am Millerntor gibt es bald einen bezahlten großen Vorsitzenden, wie Bernd Hoffmann beim HSV?

Nein! Wir wollen weder ein noch drei hochbezahlte, hauptamtliche Präsidiumsmitglieder. Aber wir brauchen eventuell Regelungen, die es ermöglichen, die beruflichen Verpflichtungen und die, die sich aus dem Amt beim Verein ergeben, besser übereinander zu bekommen.

Das heißt konkret?

Es muss für einzelne Präsidiumsmitglieder möglich sein, ihre berufliche Arbeitszeit zu reduzieren. Dann müsste man sich irgendwann auch über eine Entschädigung seitens des Vereins Gedanken machen.

Welche Aufgaben kommen auf das Präsidium zu, welche Ziele gilt es zu verwirklichen?

Die Sanierung des Vereins ist abgeschlossen, jetzt geht es um seine Konsolidierung. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, uns mittelfristig als einer der 25 sportlich besten Clubs der Republik etablieren und noch mehr Jugendlichen aus dem Stadtteil die Möglichkeit geben, bei uns Sport zu treiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!