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Vivo cantando!

Spaniens Grand-Prix-Geschichte begann 1961. Erst fünf Jahre nach dem ersten Eurovisionsfestival in Lugano konnte die staatliche TV-Gesellschaft in Madrid garantieren, dass es, um die Jurywertung live zu ermöglichen, eine funktionierende Telefonleitung zwischen Madrid und Cannes (wo das Ereignis stattfand) geben würde.

Die Premiere misslang: Conchita Bautista, in ihrer Heimat extrem populär, belegte mit ihrem Schlager Estando contigo lediglich den neunten Platz.

Dass Spanien überhaupt teilnehmen konnte, war innerhalb der Eurovision nicht unumstritten: Das Land war eine rechtsgerichtete Diktatur unter General Franco. Gerade die skandinavischen Länder wollten eine Grand-Prix-Teilnahme Spaniens und des gleichfalls faschistisch verfassten Portugals verhindern.

1964, beim Eurovisionsfestival in Kopenhagen, wurde die Liveübertragung von Studenten der Universität von Roskilde gestört: Sie versuchten, Transparente mit der Aufschrift „Nieder mit Franco! Nieder mit Salazar!“ vor die Kameras zu halten. Vergebens: Saalordner verhinderten, dass 120 Millionen zuschauende Europäer es sehen konnten.

1968 war eigentlich der Sänger Juan Manuel Serrat auserkoren, Spanien bei der Eurovision zu vertreten. La La La hieß sein Schlager – und wurde ausgesucht, um die Jurys mit einer schlichten Formel zu beeindrucken, sie jedenfalls nicht durch die spanische Sprache zu verschrecken. Allein: Der Interpret bestand darauf, sein Lied in seiner Muttersprache, also in Katalanisch, zu singen.

Doch im franquistischen Spanien war das um Barcelona – die Stadt der Spanischen Republik! – herum gesprochene Katalanisch verboten: So kam die Sängerin Massiel zum Zug. Mit Hilfe des Arrangeurs und Bandleaders Bert Kaempfert studierte sie nun das spätere Siegeslied von London ein. Aller politischen Korrektheit zum Trotz war die Umbesetzung keine schlechte Idee: Keine Grand-Prix-Sängerin vorher oder nachher vermochte Pelze unter TV-Scheinwerfern so selbstverständlich zu tragen.

Im Jahr darauf, als Spanien selbst Ausrichter des Gran Premio de la Canción de Eurovision war (und mit Salomé und ihrem Song „Vivo cantando“ eine von vier Siegerinnen stellte), überraschte das Bühnenbild – ein von Salvador Dalí gestaltetes surrealistisches Etwas – umrahmt von einem monströsen Blumenteppich. Österreich sagte, apropos, seine Teilnahme aus politischen Gründen ab.

1970 schließlich deutete der spätere Weltstar Julio Iglesias beim Grand Prix an, dass er keine spanische Lokalgröße bleiben wolle. Im Jahr darauf sang Karina den Titel En un mundo nuevo – eine Hymne im Geiste jener Aufbruchjahre: „Wir glauben an morgen / an unsere Welt / die wir für die bessere halten.“ Trotz ihres zweiten Platzes erntete die Interpretin in ihrer Heimat Unmut, weil das Lied politisch verstanden worden war.

Trotz weiterer guter Platzierungen (darunter der Welthit Eres tú von Mocedades 1973) sank die Popularität des Grand Prix beträchtlich. Das Festival galt unter Spaniens Jugendlichen als komplett verstaubt. Erst mit dem medienwirksamen Relaunch im September 2001, an dessen Ende die 21-jährige Rosa gewann, bescherte er dem spanischen Fernsehen TVE Quoten, die es sonst nur mit Fußballübertragungen erzielt. JAF

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