Vitali Klitschko über Protest in der Ukraine: „Wir kämpfen gegen eine Diktatur“
Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Vitali Klitschko glaubt, dass die Krise friedlich gelöst werden kann. Die Regierung muss jedoch zurücktreten.
taz: Herr Klitschko, werden Sie an dem runden Tisch teilnehmen, damit die Opposition und die Regierung gemeinsam einen Ausweg aus der Krise finden?
Vitali Klitschko: Ja, aber wenn wir uns mit der Regierung an einen Tisch setzen, dann zu unseren Bedingungen. Wir können zu einem Kompromiss kommen, aber das ist jetzt viel schwieriger geworden, nachdem friedliche Demonstranten ohne jeden Grund von Spezialeinheiten zusammengeschlagen wurden. Aus diesem Grund bleiben unsere Forderungen bestehen: die Freilassung aller ungesetzlich festgenommenen friedlichen Demonstranten. Diejenigen müssen bestraft werden, die den Befehl gegeben haben, die Demonstration gewaltsam aufzulösen. Und die Regierung muss die Verantwortung für die wirtschaftliche und politische Krise übernehmen, das heißt, sie muss zurücktreten.
Was, glauben Sie, werden die nächsten Schritte von Janukowitsch sein?
Ich hoffe, dass der gesunde Menschenverstand siegt und doch noch ein Kompromiss gefunden werden kann. Ich will nicht, dass wir in einem Polizeistaat leben und dass solche Fragen wie die Freiheit des Worts, der Demokratie und der Einhaltung der Menschenrechte mit dem Einsatz von Schlagstöcken beantwortet werden. Und ich glaube auch nicht, dass das die Ukrainer wollen. Genau aus diesem Grund gehen jetzt Hunderttausende Gleichgesinnte auf die Straße.
Viele Beobachter merken an, dass die Opposition zerstritten ist. Wir beurteilen Sie das?
Unser gemeinsames Hauptziel ist, den Weg für unsere Entwicklung zu wählen. Die Ukrainer wollen ein Teil Europas werden und auf demselben Weg voranschreiten, der schon viele Staaten in die Europäische Union geführt hat. Was die Uneinigkeit der Opposition angeht, so kommen wir alle aus verschiedenen Parteien. Wir haben natürlich unterschiedliche Ideologien und unterschiedliche Positionen. Doch jenseits aller Unterschiede einen uns zwei Dinge: Wir kämpfen gegen ein diktatorisches Regime, das man uns aufgezwungen hat. Und wir wollen in einem freien europäischen Land leben.
42, ist ein ukrainischer Profiboxer, promovierter Sportwissenschaftler und Oppositionspolitiker. Er ist ehemaliger Weltmeister der WBO im Schwergewicht sowie aktueller und zweimaliger Weltmeister nach Version der WBC. Sein jüngerer Bruder ist der Profiboxer Wladimir Klitschko.
In den Medien werden Gerüchte verbreitet, Sie hätten sich mit Bundeskanzlerin Merkel getroffen, die Ihnen Unterstützung für die Präsidentschaftswahlen 2015 zugesagt hat.
Das sind doch alles nur Spekulationen. Ich habe mich nicht mit Angela Merkel getroffen und folglich mit ihr auch nicht darüber gesprochen. Aber ich weiß, dass sie und die CDU die Ereignisse in der Ukraine sehr genau beobachten. Was bei uns derzeit auf den Straßen passiert, das ist eine friedliche Demonstration und zeigt den Wunsch der Ukrainer, in einem normalen Land zu leben.
Was wird die Opposition tun, wenn die Staatsmacht doch wieder gewaltsam gegen die Demonstranten vorgeht?
Solche Gewaltszenarien sollten überhaupt nicht als eine mögliche Variante der weiteren Entwicklung erörtert werden. In diesem Fall könnte die Situation außer Kontrolle geraten und brandgefährlich werden. Die Empörung in der Gesellschaft ist extrem groß. Doch wir hoffen immer noch, dass sich die Fragen friedlich regeln lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos