Virtuelles Stadtmodell auf Google Earth: Berlin ruckelt durch das Netz
Haus für Haus lässt sich ganz Berlin dreidimensional im Internet bewundern. Jeder Straßenzug wird sichtbar, das Modell soll Investoren anlocken.
Wer das dreidimensionale Berlin anschauen will, benötigt vom Programm Google Earth mindestens die Version 4.0. Die deutsche Version kann kostenlos unter earth.google.de heruntergeladen werden. Anders als dreidimensionale Ansichten amerikanischer Städte gehört das virtuelle Berlin nicht zum Standardprogramm. Es kann ebenfalls kostenlos unter www.3d-stadtmodell-berlin.de abgerufen werden und taucht dann bei Google Earth als Link im Ordner "Temporäre Orte" auf. Zur optimalen Nutzung empfiehlt sich allerdings eine sehr gute Grafikkarte, viel Geduld und reichlich Übung mit der Maussteuerung.
Damals, in der grauen Zeit ohne Internet, musste man noch nach Berlin fahren, um sich ein Bild von der Stadt zu machen. Heute setzt man sich einfach an den Computer. Denn seit dieser Woche ist Berlin komplett als dreidimensionales Modell zu bewundern - Haus für Haus.
Ganz neu ist die virtuelle Betrachtung der Welt von oben nicht. Google Maps bietet schon seit Jahren jeden Hinterhof in Satellitenperspektive. Bei Virtual Earth, dem Konkurrenzprogramm von Microsoft, sind die Bilder zwar nicht so detailliert, dafür gibt es als "Vogelperspektive" auch Schrägansichten ganzer Straßenzüge, die die Orientierung erleichtern.
Auch das nun vom Senat und der Marketinggesellschaft Berlin Partner präsentierte 3-D-Modell gibt es schon seit zwei Jahren bei Google Earth. Bisher allerdings entsprach nur bei ausgewählten Gebäuden das virtuelle Bild der Wirklichkeit. Das hat sich nun geändert. "Die Stadt wurde in niedriger Höhe überflogen, Planquadrat für Planquadrat", erklärt Christoph Lang, Sprecher von Berlin Partner. Die aufgenommenen Schrägbilder wurden mit den beim Katasteramt gespeicherten Gebäudeformen kombiniert. Dieser Prozess lässt sich auf dem Bildschirm nachvollziehen. Denn die Datenflut bringt den Rechner ins Schwitzen. Aus der zunächst noch planen Draufsicht wachsen zunächst Stück für die Stück die Gebäude als weiße Bauklötzchen, auf die schließlich die Fassadenbilder gehängt werden. Eigentlich müsste das wesentlich schneller gehen. "Ein handelsüblicher Laptop, der sich für normale Computerspiele eignet, sollte ausreichen", sagt Lang. Das gilt aber nur, wenn Grafikkarte, Internetverbindung und Rechnerkapazität optimal sind. Im taz-Test jedenfalls ist der Gang durch das 3-D-Berlin ein äußerst ruckeliges Vergnügen.
Dennoch lassen sich die Reize unschwer erkennen. Vom Stadtzentrum über die Plattenbauten in Marzahn bis zur Datsche am Müggelsee, alle 500.000 Gebäude können angesteuert, alle Straßenzüge "durchflogen" werden. Von oben. Aus allen Himmelsrichtungen. Nur die Autos auf den Straßen bleiben flach.
Fünf Gebäude können sogar von innen erkundet werden. Im Hauptbahnhof trifft man zum Beispiel neben einzelnen Passanten einen Wachschützer mit Knarre im Halfter. Auch Tempelhof-Nostalgiker kommen auf ihre Kosten. Mit ein wenig Übung lässt sich der Landeanflug auf den im Herbst geschlossenen Flughafen simulieren. In Mitte wird das Online-Berlin gar zum echten Zukunftsmodell. Zwar zeigt das im Mai 2006 aufgenommene Satellitenbild noch den Palast der Republik, doch das 3-D-Modell präsentiert bereits das rekonstruierte Schloss.
Dennoch ist das Google-Earth-Berlin weit mehr als eine Spielerei. Wer etwa eine "verkehrsgünstig gelegene Wohnung" angeboten bekommt, kann anhand des Modells schnell erkennen, ob damit ein U-Bahn-Anschluss oder die Stadtautobahn gemeint ist. Selbst der Sonnenstand im Tagesverlauf lässt sich simulieren. So wird leicht ersichtlich, ob ein Balkon schon am Nachmittag verschattet ist.
Doch nicht nur für Immobilienvermarkter sei die kommerzielle Nutzung der Internetcity hochspannend, meint Lang. Die Berlin Partner hoffen, mit dem 1,1 Millionen Euro teuren Projekt - davon 900.000 Euro aus einem EU-Topf - vor allem Investoren in das reale Berlin zu locken. Deshalb wurden etwa die Standorte der Musikindustrie besonders hervorgehoben. Zudem wurde das Modell mit Daten aus dem Wissenschafts- und dem Museumsportal verknüpft. Und für die Sicherheit falle auch noch etwas ab, erklärt Lang. Die zuständigen Behörden könnten anhand des Modells etwa Evakuierungen bei einem Katastrophenfall berechnen oder den Ausfall der Wasserversorgung simulieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!