: Virtuelle Marionetten?
■ Sommertheater: Die belgisch-italienische Koproduktion Charleroi / Danses von Frédéric Flamand und Fabrizio Plessi hat mit Ex Machina Premiere
In der verkürzten Annahme philosophierender Medientheoretiker durch Künstler erscheint die Zukunft der Menschheit oft wie eine Verwandlung des Körpers in ein virtuelles Marionettenspiel. Da wird der verkabelte Sex zur Horrorvision des entleerten Sinns schlechthin hochstilisiert, ganze Panoramen von stieräugigen Jugendlichen vor dem PC gemalt oder schlicht der Untergang der abendländischen Kultur in der Schlacht mit dem digitalisierten Medium prophezeit.
Daß der Mensch als fühlendes Kollektivwesen durch die Einführung des Schießpulvers, des Kubismus, des Films oder der Demokratie ebensowenig untergegangen ist wie durch die Inflation der Virtualität, wird hier mit ahistorischen Amboßschlägen als Wissen gerne zerdröhnt. Die kulturpessimistische Verzeichnung des Menschen zu einem hilflosen Domestiken der Technik hilft bei der Formulierung von ästhetischen Plakaten eben weit mehr als die Mühe differenzierter Betrachtungen über den Lernprozeß der Selbstverständlichkeit im Umgang mit neuen Medien.
Ein wenig von dieser endzeitlichen Allerweltsphilosophie verbreitet leider auch Frédéric Flamand, wenn er über sein neues Projekt Ex Machina spricht. Da wird im Stile eines intellektuellen Werbespots von den „schweren psychologischen, philosophischen und moralischen Folgen“ und der tiefen Verwandlung der menschlichen Identität durch die neue mediale Wirklichkeit gewarnt, als wären Verblödung und Geschichtsverlust organische Nebenwirkung eines Konsums von Computern, Telefon und Fernsehen. Doch die Einfädelung von Baudrillard und Virilo sowie das Reden von der „mystischen Symbiose zwischen Mensch und Maschine“, die sich in eine „Schizophrenisierung“ verwandelt habe, sollte einen trotzdem nicht von einem Besuch abschrecken.
Denn die Zusammenarbeit mit dem poetischen, italienischen Medienkünstler Fabrizio Plessi, mit dem Flamand die Technikkritik-Trilogie entwickelt hat, deren dritter Teil Ex Machina ist, ließ in der Vergangenheit das schwere theoretische Geschütz in ästhetisch-kühlen Bildern kulminieren. Nach einem Projekt zu Ikarus und dem Untergang der Titanic, das bei der letzten Mediale in Hamburg aufgeführt wurde, untersuchen Flamand und Plessi in Ex Machina die virtuelle und künstlerische Raumwirkung eines Schwimmbades in Charleroi mit den Mittel der Videokunst und des Tanzes. Daß dabei das Vorgehen, einen Technikmythos zu kreieren, um ihn kritisieren zu können, durch die souveräne Beherrschung des Werkzeuges sich selbst ad adsurdum führt, dürfte der neuen Produktion eher wohl tun.
Flamands und Plessis ästhetische Nachbarschaft, die sich auf eine elegante Inszenierung der Brücke zwischen Körperlosigkeit und Archaik bezieht, ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber Freunde stilistisch sauberer Grandezza kommen hier ebenso auf ihre vollen Kosten wie Bewunderer schönen Tanzes.
Till Briegleb
Heute bis Samstag, Kampnagel, k6, 20.30 Uhr
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