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Viraj Mendis: My home is my church

■ Die Flucht eines schwarzen politischen Aktivisten in seine Gemeindekirche bringt die Regierung Thatcher in Verlegenheit Sie will seine Abschiebung, die Stadt Manchester schafft ihm einen Arbeitsplatz / Beginn einer „Sanctuary“ Bewegung?

Aus Manchester Rolf Paasch

Der Bus verläßt das Stadtzentrum von Manchester, überquert die Stadtautobahn und biegt nach einer Weile von der Hauptstraße ab. „Hulme 1/4 Meile“. Hier verliert die Metropole des englischen Nordens ihren Charme. Graue Wohnblöcke mit betonverschalten übergängen. Holzverschläge vor den eingeschlagenen Parterrefenstern. Und Graffiti: „Viraj Mendis must stay“. Der Bus hält vor der „Kirche der Auferstehung“, einem flachen Rundbau, der in der rechtwinkligen Architektur des modernen Slumviertels fast verloren dasteht. Auch über dem Kircheneingang hängt ein großes Plakat mit Unterstützungparolen für jenen Viraj Mendis, den derzeit wohl berühmtesten Einwohner des working class–Vororts. Seit 100 Tagen hat der 31jährige Singhalese in den Räumen der anglikanischen Kirche Zuflucht gefunden. Als Schwarzer und als politischer Aktivist war der Mann aus Sri Lanka der konservativen Regierung Großbritanniens zum Ärgernis geworden; Frau Thatchers Innenminister schickte ihm deshalb den Abschiebebefehl. Vor 14 Jahren war er nach Großbritannien gekommen, um an der Universität Manchester zu studieren. Als ihm nach zwei Jahren das Geld ausging, suchte er einenJob in London. „Ich arbeitete in einer Bäckerei, 72 Stunden die Woche. Die Vorabeiter waren Weiße, fast alle Arbeiter Asiaten. So erfuhr ich die Realität des Lebens für die Unterdrückten. Ähnliche Erfahrungen „politisierten“ ihn. Das Studium wurde unwichtig, Viraj trat der „Revolutionary Communist Group“ bei, einer kleinen leninistischen Splittergruppe. Er organisierte Demonstrationen und Kampagnen für die Rechte der in England unerwünschten Schwarzen. Bis er dann selbst auf der Ausweisungsliste stand. Seither kämpft er, von seinen Freunden aus der RCG unterstützt, mit allen juristischen Mitteln gegen seine Abschiebung. Als Singhalese mit Sympathien für den Kampf der Tamilen und als aktiver Kommunist müsse er in Sri Lanka um sein Leben fürchten, lautet sein überzeugendes Argument. Trotzdem wurden alle seine Einsprüche abgelehnt, bis er sich im Dezember 1986 in letzter Not in die „Kirche der Auferstehung“ flüchtete. „Für mich war ausschlaggebend“, so erklärt der anglikanische Vikar John Methuen seine Aufnahmebereitschaft, „daß Viraj enge Verbindungen zu unserer Gemeinde hatte und in Sri Lanka seines Lebens nicht mehr sicher ist.“ Doch während die zu über 80% schwarze Gemeinde Hulmes geschlossen hinter der Entscheidung ihres Priesters steht, sah die britische Boulevardpresse hier die „fehlgeleitete Schutzmaßnahme eines im Kopf verwirrten Priesters“. Als sich dann auch die fortschrittliche Stadtverwaltung auf die Seite Viraj Mendis stellte und seine Bewerbung um den Posten eines Stadtbediensteten „für Rassenbeziehungen“ anerkannte, konnte Einwanderungsminister David Waddington seinen rassistischen Unmut kaum noch zügeln. Dies sei „eine Beleidigung für die steuerzahlenden Bürger Manchesters“, kommentierte er die Entscheidung der „Rathausirren“, der linken Labour–Verwaltung. Von einigen „Bürgern“ wurde dies als Aufruf zur rassistischen Selbsthilfe verstanden. Am 9. März stürmten sechs mit Messern und Schraubenziehern bewaffnete Neo–Nazis die Kirche, um Mendis herauszuholen. Mitglieder der „Verteidigungskampagne für Viraj Mendis“ verhinderten das. Ein Bekannter Virajs mußte anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Eine andere „Kirchenbesucherin“ wurde auf denm Heimweg von Neo–Nazis angefallen und versletzt: Man ritzte ihr mit einem Messer Swastikas in die Handfäche. Kein Wunder, daß Viraj durch nichts zu bewegen ist, sein kirchliches Domizil zu verlassen. „Ich hoffe, daß ich bald meine Stelle bei der Stadtverwaltung antreten kann“, sagt er und zeigt uns, wie er die Sakristei in seinen Arbeitsplatz verwandeln will. Das Telephon ist bereits angeschlossen. Derweil versucht das Innenministerium alles Erdenkliche, um ihn aus seinem „sanctuary“ herauszuholen. In einem nur dürftig verhüllten Drohbrief an den Bischof von Manchester ließ Innenminister Douglas Hurd verlauten: „Meine Ansicht, daß Viraj Mendis keine Sonderbehandlung zuteil werden darf, hat sich noch verschärft“, so der Minister zum Bischof. Denn die Tories fürchten wie der Teufel das Weihwasser, daß andere von der Abschiebung Bedrohte dem Beispiel Viraj Mendis folgen und in Großbritannien eine „Sanctuary–Bewegung“ nach amerikanischem Vorbild auslösen könnten. Jedenfalls wird Viraj Mendis wohl in den nächsten Tagen seinen Job als Berater für Rassenbeziehungen antreten können. Erfahrungen hat er auf diesem Gebiet nun wirklich genug gesammelt.

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