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Village VoiceHuHu! Gruß des Autors

■ „Gammler und Bulimie“ von Knochen=Girl

Da fallen Töne wie Baumstämme, wenn Obelix Römer hetzend durch den Wald pflügt. Oder auch: Minenfelder für den guten Geschmack. Oder, auch nicht wesentlich treffender: „Kunststudentenlärm“, wie die taz schon einmal anmerkte.

Die Beschreibungsebene muß notgedrungen hinter der Musik von Knochen=Girl zurückbleiben. Nicht nur, weil das Wörtchen „Melodie“ für sie möglicherweise sowas wie philippinische Blumensteckkunst bezeichnet. Da wirken viele Komponenten zusammen: Genialität, Dilletantismus, Alkohol, Größenwahn, Unmusikalität, der unbedingte Wille zur Kunst und ähnliches mehr. Wobei in jedem Song neue Kombinationsmöglichkeiten aus diesen Grundbedingungen aufzutauchen scheinen.

Ich sah Knochen=Girl nicht lange nach ihrer Gründung 1987 zum ersten Mal. Am überraschendsten und auf eine grummelnde Art beindruckend im Gedächtnis blieb für immer die Nonchalanche des Tuns, die Überzeugung, der eigenen Zeit voraus zu sein, das Wissen um das eigene Können bzw. daß eben dieses kaum vorhanden war, das selbstsichere Darüberhinwegsehen, daß fast jedermann sonst im Raum versuchte, ihn möglichst schnell wieder zu verlassen. Was damals noch wirkte wie die oben zitierten Kunststudenten, die aus ihrem klammen Übungskeller gekrochen waren, um ihren (möglicherweise New Yorker) Noise- Helden nachzueifern, hat sich sechs lange Jahre verfestigt.

Der bei vielen dieser Lärmer zu beobachtende Effekt, daß mit den Jahren das technische Können steigt und die Musik linear dazu auch immer mehr zu etwas wird, das diesen Namen auch verdient, blieb aus bei Knochen=Girl. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Entweder ist die Gruppe um H.P. Neidhardt tatsächlich völlig unmusikalisch, oder sie will wirklich das, was sie da tut. Und ist mithin – möglicherweise, tatsächlich – ihrer Zeit voraus. Auch wenn ich persönlich eher ersterer Erklärung anhängen würde, wollen wir mal davon ausgehen, daß zweiteres der Fall ist.

Die Definition des Fanzines ZAP, Knochen=Girl seien was „für Leute, denen die Neubauten nicht extrem genug sind“, zielt vorbei. Denn bei den Neubauten diente die Atonalität auch vor allem immer zur Anreicherung der durchaus konventionellen Rhythmik und der semantischen Erweiterung des textlichen Ausdrucks auf einer anderen Ebene (fast wie beim Hörspiel). Bei Knochen=Girl ist es auf „Gammler und Bulimie“ nun nur mehr Hörspiel oder wahlweise halt textlicher Ausdruck – beides steht oft recht beziehungslos nebeneinander. Die Atonalität steht für sich und hat keine weitere Bedeutungsebene dahinter, wie in „benzol/Schokolade“, einem 4:37 langen Schaben ohne Struktur, ohne Rhythmik, ohne Veränderungen, ohne Irgendwas. Das ist nicht mal mehr Kiffermusik, das ist nur noch krank und wäre besser dort geblieben, wo es hergekommen ist: im Übungskeller (hoffentlich wirklich klamm).

Natürlich wissen selbst Knochen=Girl, daß man sowas nicht eine ganze CD lang machen kann, wenn sich das noch jemand anhören soll. Also gehen sie zurück zu den Hörgewohnheiten von Otto Normalverbraucher, und man spürt aus jedem Ton den Haß, den sie eben jenem gegenüber empfinden (HuHu! Gruß des Autors). Also produzieren sie Karikaturen von Balladen, Rockstücken und Popmusik, ganz im Sinne des Mottos, dem im CD-Inlet eine ganze Seite eingeräumt ist: „Andere durch zu große Offenheit in Verlegenheit bringen.“

Natürlich ist das Kunst. Punkt. (Vielleicht stellt sie das zufrieden.) Weil Kunst heutzutage der bewußte Vorgang des Zerlegens vorhandener Muster ist. Wenn Kunst, wie noch vor gar nicht langer Zeit, die Selbstentäußerung des Künstlers wäre, dann nicht. Wieder Punkt. Genau das stößt mir (nur mir persönlich jetzt, Du) halt auf. Und daß Knochen=Girl meinen, es damit allen anderen zu zeigen, zu beweisen, daß man ohne Szene, ohne Historismus, ohne Bezüge (nicht einmal zu sich selbst), Großartiges schaffen kann.

Und daß ihr Humor so deutsch ist. Bloß nicht lachen über sich selbst, nur über die anderen (Ich sehe sie jetzt schon in ihrem bereits erwähnten Übungskeller sitzen, wie sie sich die Bäuche halten, wenn sie dies hier lesen). Bezeichnend, daß es auf „Gammler und Bulimie“ drei Stücke gibt, die den Titel „Wir“ tragen. Es gibt auch eines namens „Ihr“. Dort heißt es: „Du, Ihr, Schwitzarsch, Fettarsch“ und „Du, Ihr, ich kenne euch, es reicht“. Die nicht- zynische, humane Variante desselben musikalischen Ansatzes waren zum Beispiel die verblichenen, US-amerikanischen Happy Flowers. Greifen sie, werter Leser, bitte darauf zurück. Thomas Winkler

Knochen=Girl: „Gammler und Bulimie“, What's So Funny About/Indigo

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