Village Voice: Schmerzromantik in town
■ Neues von der australischen Band Once Upon A Time
Once upon a time, nicht in Amerika, nein, in Berlin, ließen sich einige junge Australier in dieser so anziehenden, zauberhaften, mythischen, elegischen, Depressionen auslösenden, weil geteilten Stadt nieder. Wollten sich, schwarzgewandet, aber nicht gruftig, von der Berliner Krankheit anstecken lassen, beklemmende Grenzluft schnuppern, endlich den ihnen innewohnenden Blues rauslassen. Flohen ihrer Geschichtslosigkeit und suchten hier die Ruinen der alten und sehr jungen Geschichte, suchten Morbidität, Provisorium und Verfall, aber auch die Idyllen im Schatten der Mauer.
Wo Rosendorfers Albin Kessel in der Elsenstraße, im Neuköllner Niemandsland, sein spaßiges Geheimdienstspielchen spielen konnte, wo Läden wie das „Fischbüro“ an jeder Ecke aus dem Boden schossen (sic!), wo sich Bands „Temple Fortune“ nannten, genau da zog es, wie wir zur Genüge wissen, Cave, Bonney und Konsorten hin. Kleine, heile Berliner Welt, wie geschaffen für eine australische Kronkolonie.
Die Zeiten sind schlechter geworden (immer dieselbe Leier!), der Himmel über Berlin nicht klarer, die Stadt größer und die Horizonte trotz Mauerfall nicht sichtbarer. [Wer unbedingt nicht sehen will, dem ist auch nicht zu helfen! d. säzzer] Das alles lockte auch 1990 die australischen Once Upon A Time. Paßgerecht geistern sie hier auf den ausgetretenen Pfaden ihrer Vorgänger herum, fühlen, leben und spielen den Blues, und sonst gar nichts.
Ihre dritte Platte, „Don't look down“, soll, schaut man sich das Innencover an, wie ein Blitz in dieses großstädtische Szenario schlagen und – immerhin! – weniger dem ehemals speziell berlinerischen, als einer universellen großstädtischen Schmerzromantik huldigen. Melbourne in Berlin ist big city, dark night.
Bruno Adams ist der Hoster für all diese gitarren- und pianobewehrten musikalischen Halluzinationen. Er windet und räkelt sich durch die Songs, die kaum dieser Bezeichnung gerecht werden und besser vertonte Atmosphären getauft werden sollten. Adams ist der bleichgesichtige cruiser auf unruhiger Fahrt im Untergrund, er ist der Orpheus auf dem lustvollen Weg in der Unterwelt oder, wie es in einem Stück heißt, auf dem „Halleluja Hi-Way“. Der nicht irgendeine Eurydike leierspielend zum Leben wiedererwecken will, sondern sich ergötzt am eigenen, nicht sehr präzis benannten Leid.
Und das brummelt er tief, jämmerlich und anklagend heraus. Lachen ist verboten, und so darf man konstatieren: Once Upon A Time verkörpern einen Schmerz, jawohl, und der steht, ganz emotionally correct, an und für sich. Weltschmerz als Koketterie und Lebensaufgabe, so wichtig wie das tägliche Brot.
Zu Anfang kommt auf „Don't look down“ allerdings noch eine recht zarte Musik heraus, „The backward eye“, ein wirklich gelungenes Intro, zentnerschwer und doch so leicht. Da dürfen Tränen fließen und als Erleichterung, als Reinigung begriffen und beweihräuchert werden. Ach, wie traurig, wie pathetisch und wie ergreifend ist dieses Stück! Wirkliche Schönheit, die leise und beruhigend ausklingt.
Was es dann aber auch gewesen sein sollte, die Hammerschläge im nächsten Stück holen zurück in die öden Härten dieser (?) Welt, „It's alright when you don't look down“. Was man, bitte sehr, nicht allzu ernst nehmen sollte und, auch wenn es hier nicht hergehört, an das „Don't look back“ so mancher Folkhelden erinnert; Master Freud läßt grüßen. Selbstironie kann ja nicht schaden, schon gar nicht Once Upon A Time.
Der Rest ist Stimmung, Lust am Untergang, Schreie, Unruhe und zuckendes, nervöses Irrlichtern. Große Beschreibungs- und Assoziationsmusik, immer schön begleitet durch ein Piano. Welches allerdings nicht, wie beispielsweise bei den Londoner Gallon Drunk, song- und federführend ist, sondern immer als im Hintergrund schwebende Drohung mitschwingt. Tausendmal gehört und tausendmal dann doch berührt ... Oder eben der perfideste und überzähligste Rock-'n'-Blues-Fake ever. Gerrit Bartels
Once Upon A Time: „Don't look down“ (What So Funny About).
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