Village Voice: Hundefutter Fünf
■ Slick kotzen schlappen Gesang aus und scheitern an ihrem persönlichen Jesus. Die Dreadful Shadows stillen den kleinen Hunger der Schlafstadt-Grufties
Was war doch gleich das Gute am Rock ‘n‘ Roll? Die grandiosen Rocker von Bel Ami („Berlin bei Nacht“) brachten es auf folgenden Nenner: „Und schon wieder einmal mehr / haben wir es geschafft / Das Hemd ist kaputt / die Hose gekracht / Alles voller Schweiß und die Birne voll / Das ist das Gute am Rock ‘n‘ Roll!“
So etwas in der Art werden sich auch Slick gedacht haben, als sie die fünf Stücke ihres neuen Albums „Slick“ einspielten. Wäre das leicht angepunkt lärmende Trio 1991 beim Überschall-Festival im Bremer „Aladdin“ mit Didjits, Gumball und einer gewissen Band namens Nirvana vor Sonic Youth aufgetreten, hätte das wahrscheinlich niemanden im Publikum umgeworfen, wäre aber auch dank der ohrenbetäubenden Abmischung nicht unangenehm aufgefallen.
Vier Jahre später wirken „rausgekotzte Melodien“, unreflektiertes Losdreschen und mittelmäßiger Gesang jedoch höchstens gut nachgemacht, wenn nicht gar schlecht kopiert und stellen keinen einsichtigen Grund dar, Slicks ersten CD-Longplayer zu erwerben. Nicht einmal ihr eigener „Personal Jesus“, der überaus lahme Versuch, Depeche Mode in Rock 'n' Roll rückzuübersetzen, gelingt ihnen – Terry Hoax aus Hannover und DM höchstpersönlich klingen einfach um einiges überzeugender.
Zum Glück gibt es noch die „Coron Overdrive“ 4-Track-EP, die auf dem von Slick-Bassisten Arne Gesemann mit viel Enthusiasmus betriebenen Trash-City- Records-Label (TCR) erschienen ist und vorerst völlig ausreicht, um die Grundsubstanzen „Feedback, Lärm, Schweiß“ angemessen rüberzubringen.
TCR, die in der Mainzer Straße 13, Neukölln, residieren, bieten außerdem zu absolut vernünftigen Preisen wundervolle Raritäten für die manischen Sammler vinylgepreßter Garagenmusik und haben Bands mit so seltsamen Namen wie Pyjama Suicide, Dog Food Five, Numb Tongues, Electric Family und Desmond Q. Hirnch aus Potsdam im Angebot. Für schlappe 25 Mark gibt es dort noch einige Exemplare der kompletten TCR- Collector's-Box mit drei 7-Inch- EPs, einer Single und zwei Comics zu erwerben, die weitaus interessanter als „Slick“ von Slick ist.
Je weiter man sich vom Berliner Stadtzentrum entfernt, desto mehr Anhänger eigentlich ausgestorbener jugendlicher Subkulturen begegnen einem in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Quicklebendig wie eh und je sind zum Beispiel die sogenannten Grufties.
Stundenlang stehen sie vor dem Spiegel und versuchen mit Tonnen weißer Schminke, fetten Kajalstiftstrichen unter den Augen und ganz vielen Kreuzen auszusehen, als kämen sie just von ihrer eigenen Beerdigung.
Und was machen Grufties, wenn sie sich nicht gerade schminken oder in dunklen Kellern bei Kerzenlicht Bilder mit vielen Kreuzen auf ihre Klamotten malen? Sie hören Musik, unter anderem die von den Dreadful Shadows aus Pankow, die das Resultat ihrer inzwischen fünf Jahre währenden Arbeit als „Extasy Gothic“ bezeichnen. Guter alter Schmockrock mit mystischem Einschlag also, den Andrew Eldritch & Co., Love like Blood und Fields of the Nephelim auch drauf haben.
Die schrecklichen Schatten, die schon als Support von Christian Death und den Armageddon Dildos auftreten durften, haben nach ihrem auch international vielbeachteten Debüt-Werk „Estrangement“, jetzt für den kleinen Hunger zwischendurch mit „Homeless“ eine EP nachgeschoben, deren limitierte Erstauflage von 1.500 Stück innerhalb von nur vier Wochen ausverkauft war.
Drei neue Songs, zwei Live- Aufnahmen, das Titelstück noch mal im „Cyberedit“ und die hart an der Schmalzgrenze vorbeigeschrammte Pianoversion von „Sea of Tears“ lassen die Herzen der Fangemeinde höher schlagen, die inzwischen auch einen Ableger in Brasilien hat. Der Rest der Welt wartet einfach bis Anfang nächsten Jahres auf das zweite reguläre Album. Gunnar Lützow
Slick: Slick (Subway Records)
Dreadful Shadows: Homeless (Sounds of Delight)
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