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Village VoiceAus allen Zeiten gefallen

■ Nikki Sudden und Dave Kusworth sind noch immer verliebt, und auf „Old Scarlett“ schwelgen The Jakobites zum zweiten Mal in der eigenen Vergangenheit

Zuerst spielten sie Rock 'n' Roll, überall dort, wo es gerade paßt; zweitens sind sie Engländer, und drittens scheinen sie in Berlin ihre Herzen verloren zu haben, zumindest was die Häufigkeit ihrer Anwesenheit hier in der Stadt und die dabei zumeist gut besuchten Shows angeht: Nikki Sudden und Dave Kusworth, seit einiger Zeit wiedervereint als The Jakobites.

Dumme Zufälle und gegenseitige Neidereien hatten sie für fast ein Jahrzehnt nicht sehen, sprechen und spielen lassen. Anläßlich der Wiederveröffentlichung alter Alben jedoch verliebten die beiden sich erneut ineinander und beschlossen, neue Alben aufzunehmen, natürlich auch gemeinsam aufzutreten und kübelweise Melancholie und Sentiment über die wahrscheinlich glückliche Fangemeinde auszuschütten. Nach den „Howling Good Times“, ihrem Debüt sozusagen, gibt es jetzt mit „Old Scarlett“ ein zweites Schwelgen in alten Zeiten.

Brüderlich geteilt haben sie die Songs, jeder steuerte genau sechs an der Zahl bei, wobei so mancher nur noch mal ein neues Soundgewand bekam: „Liquor, Guns and Ammo“, ein Song von Sudden, kennen wir schon von seinem Album „The Jewel Thief“, das er mit Mitgliedern von R.E.M. einspielte, und auch „The Rebellion Of The Hearse“ tauchte schon als Akustikversion auf einer früheren Soloplatte von Sudden auf.

Ein sogenanntes Hauslabel gab es nie

Das liest sich jetzt wie der sprichwörtliche alte Wein in nur bedingt neuen Schläuchen, hört sich über die Gesamtlänge des Albums auch oft so an, ist aber grundsätzlich eine Eigenart der Jakobites, insbesondere Suddens. Denn ein sogenanntes Hauslabel gab es nie, die rund zwanzig Platten von Dave Kusworth und Nikki Sudden sind auf den unterschiedlichsten Labels herausgekommen — zu unstet zeigten sich beide auf ihrer oft besungenen „Road Of Broken Dreams“. Genau das macht aber den Charme der Jakobites aus, daß sie die Songs, die einmal geschrieben wurden, für die Dauer einer kleinen Ewigkeit erhalten und über die vergehenden Jahre hinwegretten, ohne ihnen ihre Seele zu nehmen.

Nahezu unverändert tauchen die beliebten Herzschmerz-Topics auf „Old Scarlett“ auf: Sudden besingt wehmütig die sterbenden Engel, die ihn an die Lippen der Mädchen aus seiner Hometown erinnern, die er geküßt hat – dieselben Engel, die ihn früher, auf der 83er Platte „Bible Belt“ (übrigens ein Album, das seinerzeit vom jetzigen Koproduzenten John Rivers produziert wurde und das, viel aufregender, auch Frauen als Sängerinnen in die Männerdomäne Jakobites einbrechen ließ) zu sich gerufen haben, an deren Gesichter er sich so gut erinnern konnte und die in ihrer Untreue und verblassenden Erinnerung ebenfalls ihr Fett wegbekamen („Shame Fot The Angles“, wer erinnert sich nicht?).

Kusworth steht dem in nichts nach, teilweise noch etwas rührseliger als sein Kumpan, gibt er trotzig die Devise aus, nicht zu weinen, und sei das Leben noch so hart, seien die Freunde noch so fremd geworden, sei die Zeit, die an Liebeleien verschwendet wurde, noch so verloren.

Eine Lebensform aus Träumen und Sand

„Life is built on emotions“ heißt eine der Top-Weisheiten der Jakobites, und die kann man am besten über den Rock 'n' Roll ausdrücken, da kann sonstwas in der Welt passieren; dazu kommt das andere Geschlecht als zumeist imaginäres Geschöpf, für das es sich ungemein zu leben lohnt. Aufgebaut ist ihre Lebensform natürlich auch aus Träumen und noch mehr Sand. Als ewige Romantiker schert Sudden und Kusworth das jedoch wenig, zu sehr sind sie da in ihrem eigenen wie universellen Sinn aus allen Zeiten herausgefallen. Gerrit Bartels

The Jakobites: „Old Scarlett“ (Glitterhouse/Efa)

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