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Village VoiceWenn die Fransenjacke resigniert

■ Das Silberstein-Eck liegt nicht in Dodge City oder Eigene Einfälle zu ignorieren ist doch viel zu anstrengend: Zwei neue Platten von Pearls At Swine und Frigg

Sie würden ja wohl Leistung und Qualität bringen, sonst wär'n sie nicht schon so lange erfolgreich, meinte ein VW-Arbeiter aus Zwickau neulich in der ARD über eine Rockband.

Die Rolling Stones haben also nicht nur Vorbildfunktion für Frühvergreiste, die meinen, sie hätten einmal eine „rebellische Jugend“ mit ihnen geteilt, die Band ist auch Musterbeispiel für Wertarbeit.

Nur schade, daß die Stones keinen gepflegten Beat made in Germany herstellen können. Dazu fühlen sich statt dessen zahlreiche Bands berufen, von denen nicht wenige ihren Wohnsitz in Berlin haben. Eine davon sind Pearls At Swine. Deren Sänger hat ein ernstes Problem: Seine Stimme klingt irgendwie nach Mick Jagger. Anstatt diesen vielleicht angeborenen Mangel durch intensives Stimmtraining auszugleichen, versucht Robby Baier das Beste draus zu machen.

Zusammen mit seinem Gitarristen Nick Lieven schreibt Baier sich Songs wie „Miles Away“ von der Seele direkt in die eigene Rockröhre. Eigentlich hat man gar keine Lust den Text ins Deutsche rückzuübersetzen, andererseits ist diese Arbeit aufschlußreich: Sie macht endgültig deutlich, daß Jungs wie Baier auf einem so verschärften Ami-Rocktrip sind, daß sie glatt vergessen, daß Neukölln nicht Texas ist und das Silberstein-Eck nicht der Saloon von Dodge City.

Eifersucht ist, wenn man trotzdem nicht lacht. Interpretieren Sie nach dem Pfeifton: „Schätzchen, die Liebe die wir gemacht haben, ist Meilen weit weg. Dies ist meine Waffe, ich mach' Munition rein. Ich schieß' jemand direkt in die Hölle.“ Oder, auch hübsch: „Schätzchen, Schätzchen, Schätzchen, sag mir, was ein Mann mit dir anstellen soll?“

Sag mir lieber, was man mit dieser Musik anstellen soll. Perlen vor Säue orientieren sich am guten alten geraden Rock. Eine Portion Bluesfeeling, die manchmal gar mit dem Sänger versöhnt, läßt die Fransen an der Jacke resigniert Richtung Boden hängen. Das wäre ja auch alles irgendwie o. k., weil solide (siehe VW) hergestellt. Aber erstens finde ich solche Musik stinkelangweilig, zweitens überflüssig, und drittens geht mir nicht ins Hirn, warum relativ junge Musiker nichts besseres zu tun haben als angloamerikanische Vorbilder zu kopieren.

Nicht jeder kann in Hamburg Musik machen und geniale Texte verfassen wie Blumfelds Distelmeyer oder gerade eben Tilmann Rossmy mit verschärft klasse- peinlichen Liebesliedern. Dürfen Deutsche keine Rockmusik machen, werden jetzt wieder einige fragen. Meinetwegen, aber es kann mir keiner erzählen, der nicht mit der Band befreundet ist, daß er im Zweifelsfall nicht lieber gleich das Original kaufen würde, und nicht die Kopie. So perfekt sie auch sei. Schön für die Band, daß ein Medienkonzern wie Bertelsmann/Ariola das anders sieht und die zweite CD der Perlenfischer rausbringt.

Die Jazzer Frigg hingegen machen sich nicht die Mühe, auf die Verwertung eigener Einfälle zu verzichten. Auf ihrer neuen CD „Dönerfressing Woman“ rasen sie wie Geisterfahrer durch einen imaginären Klangspace, der zu nichts gut ist außer ihrem kindlichen Spaß. Zwischendurch wird kurz am Dönerstand Rast eingelegt, die Klarinette von Jürgen Kupke ausgepackt und aufs ernsteste kammermusiziert. Dann wieder setzt sich die Anarchofraktion durch, Bert Wrede echot ein heavymetalliges Gitarrensolo in die Imbißbude.

Auch Frigg dürften so etwas wie Vorbilder haben und sicherlich die eine oder andere Platte von John Zorn, Bill Frisell oder Marc Ribot besitzen. Auch die angestaubte Carla Bley lugt irgendwo um die Ecke. Das Kopiergerät aber bleibt ausgeschaltet. Gern würde ich mir noch heute einen Auftritt von Frigg um die Ohren hauen lassen, die live in nachbarschädigender Lautstärke noch besser sein dürften als auf CD. Da klingelt schon die Polizei an meiner Tür. Andreas Becker

Pearls At Swine: dito. BMG/ Ariola. Record Release Party am 1. 2., 21 Uhr im Pfefferberg

Frigg: Dönerfressing Woman. 99 Records, Berlin.

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