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Village VoiceZu zweit gegen die Mafia

■ Das Imperium des Alec Empire – jetzt erweitert um die blutjungen EC8OR

Ein vielbeschäftigter Mann, dieser Alec Empire: Den meisten ist er ein Begriff als Vorturner von Atari Teenage Riot – ein widerborstiger, aufbegehrender Mini-Popstar, der die Meute zum Toben bringt. Nebenbei (oder hauptsächlich?) produzierte er eifrig Solo-Alben für das Frankfurter Label Mille Plateaux, seit kurzem hat er eine neue (zweite) Band, Side, deren instrumentelles Line-up aus einem Schlagzeug und zwei Gitarren (!) besteht, und zu guter Letzt gründete dieser Quirl mit den übriggebliebenen Geldern des damaligen ATR-Industriedeals auch noch sein eigenes Label, Digital Hardcore Recordings.

Dort bringt Empire die Acts heraus, die er für „echten“ Techno oder Hardcore hält, die seine Philosophie des Aufbegehrens gegen das Establishment, gegen die Mainstream-Techno- Mafia, am überzeugendsten teilen.

EC8OR, gesprochen „Icätor“, sind das neueste Signing von Empire. Dahinter verbergen sich die beiden Noch-Teenies Patrick und Gina. Während der gebürtige Kölner Patrick früher als E-De- Cologne ordentlich die Brech- Beats rausballerte, ist Gina schon länger eine Hauptstädter Teilzeitlegende als Gründungsmitglied und Exsängerin der Lemonbabies (damals war sie grad mal zwölf, meine Güte!).

Und so jung die beiden sind, so nervös und wütend geben sie sich auf diesem Album. Alle Wut der Welt steckt in ihren auf einem Amiga-500-Computer programmierten Tracks, schneller und übersteuerter geht's nimmer, und wo Atari Teenage Riot den Riot durch ständiges Im-Mund-Führen manchmal der Lächerlichkeit preisgeben, ist er bei EC8OR vital und bedrohlich.

Da wetteifern die von Gina herausgerotzten Lyrics mit dem holprigen Maschinensound, „Amiga-Trash-Sound“ nennt Empire das, und gesungen wird: „I hate „you guys you fuckin' wankers, I hate your shit, I hate your manners, you think you're clever and so genius, but I will never be one of your members... you money monkeys, you ugly bugs, you false playing frogs, you cocain ducks.“

Das sitzt. Das ist der Punk der frühen Jahre, der Punk der späten Neunziger, erdacht auf großen und kleinen Raves als Sprengstoff für die mittlerweile so gehaßte Raver-Society. Zuweilen allerdings muß man ganz papimäßig ein bißchen Sorge tragen, denn soviel Ernsthaftigkeit und ausdauernde Warnung vor der Verderbnis des bösen Monsters Kommerz, wie sie die beiden Youngsters in Sound und Text verbreiten, ißt auch manche Seele auf, und ein wenig mehr Pop, Selbstinszenierung oder gar Humor könnte da Wunder wirken.

Zudem in einer Tour seine Legitimation daraus zu beziehen, gegen die „Großraumdiscoschickeria“ zu kämpfen und keinen „blinden Rundumpartyspaß“ (Info) zu produzieren, läßt selbst den ernsthaftesten Hörer von Sounds und Beats das Maul weit auf zum Gähnen stehen.

Alec Empire selbst ist da zumindest soundmäßig schon ein Stück weiter und hat grad mal vier Monate nach Veröffentlichung seiner sparsamen „Low on Ice“-Sessions schon wieder ein Album produziert: „Hypermodern Jazz 2000.5“. Da vergreift er sich, wie der Name schon sagt, am guten alten Jazz, besser an seinen leichtverdaulichen, modernen Ausformungen wie Acid-Jazz – ha, da ist ein neuer Feind – und dreht JazzSamples durch seinen höchstpersönlichen Reißwolf.

In den Tracks läßt er sie zumeist ganz nackt und hilflos neben seinen Rumpelbeats stehen, und der Effekt ist der eines nicht richtig rund laufenden Motors. Sehr schön hier der „Unknown Stepdancer“, der keinen vernünftigen Schritt mehr zustande bringt, dafür aber hyperschnell ist. Alles eine Frage der Geschwindigkeit und des Ineinander-Übergreifens. Und das soll bei Empire nicht so sein, wie der Groove es gerne möchte. Hypermodern halt. Der (endlich mal) gespielte Witz übrigens ist auf dem Cover rechts oben angeheftet, für die ganz unvoreingenommenen: File under: Easy Listening & Space Jazz. Gerrit Bartels

EC8OR: „EC8OR“ (DHR/IRS)

Alec Empire: „Hypermodern Jazz 2000.5“ (Mille Plateaux/ Efa)

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