Village Voice: Konstabler in der Partyküche
■ Lüderitz sind gekommen, um sich über korsischen Kaffee zu beschweren, Weedforce läßt es sich daheim wachsen
Lüderitz liegt nicht etwa bei Strausberg-Nord, sondern ist nach bisher unbestätigten Angaben das namibische Dorf, in dem die meisten Isländer wohnen. Sind Lüderitz aber deswegen gleich Björk auf der Spur? Nicht ganz.
1992, als Sidewalk Poets gegründet, brachten sie eine Doppel-EP heraus, die immerhin Nummer fünf in Trevor Wilsons Lieblingsplattenliste wurde. Vor zwei Jahren zogen sie das große Los beim Metrobeat, und nun ist Los Lüderitz! als Silberscheibe auf dem hauseigenen „Rent a Poet“-Label erschienen. 14 duftige Songs pendeln zwischen Pop, Folk und Surrealismus. Mit Akkordeon, Sackpfeife und Flöte werden Gitarre, Baß und Schlagzeug freundlich bei der Arbeit unterstützt – und im Notfall greifen sogar Steelguitar und Posaune ein, um den dadaistischen Wahnsinn angemessen zu komplettieren.
Schließlich spielt das ausgefallene Songwriting bei den ehemaligen Bürgersteigdichtern die erste Geige. Eine ziemlich kurze Kurzgeschichte über kafkaeske Konstabler atmet den Geist der Zwischenfälle Daniil Charms', und auf „Je ne sais pas“ reimen sie flott „Korsischer Kaffee macht keinen Spaß“ – da hat wohl das selten vorteilhafte schimmlige Brot Max Goldts Pate gestanden, dessen Humor immer wieder zwischen den Zeilen hervorlugt und grinst. Daß den Lüderitzen dennoch ein kleines Stück zum ganz großen Glück fehlt, ergibt sich im kurzen Vergleich von „Liebe, Jungs, Stunden“ mit Tom Liwas retrospektiven Songs. „Liane (Cool ist das Wort dafür)“ zum Beispiel hat einfach mehr Format als Zeilen wie „Dabeisein war nicht alles, Bessersein war mehr“. Denn schau an, wer hätte das gedacht? Und, am Rande bemerkt, so überzeugend ist der Gesang nicht, daß er darüber hinwegtäuschen könnte. Aber solange das melancholisch-komische Trio bloß Musik machen will, die einen auf Parties an den Kassettenrekorder in der Küche fesselt, geht das völlig in Ordnung.
Ebenfalls dorthin geht Kalle Max Hoffmann, der jetzt Weedforce heißt. Als ehemaliger Technofan besonders genervt vom Sellout, gilt sein Haß seitdem den Euro-Dancern und „Deppentechno-Verbrechern“. Blümchen, du hast den Teil meiner Jugendbewegung zerstört! Nach zwei unspektakulären House-Maxis war also erst einmal Feierabend mit lustig.
Darauf folgten diverse Versuche in Sachen HipHop, die schließlich im Dub mündeten. Und wie üblich nahm auch seine Bastelei in den Zeiten der frei flottierenden Gewerbemieten ihren Anfang im Schlafzimmer, das mit fünf analogen und sieben digitalen Synthesizern eigentlich schon überbelegt gewesen wäre. Drei Drumcomputer, ein Sampler und ein selbstprogrammierter Sequenzer kamen noch hinzu, und dementsprechend professionell klingt Homegrown. Netter House-Dub, der unter gestandenen Rockern als erfrischende Meditationstechnik durchgeht und gleichzeitig manch esoterisches Elfenwesen den Tanzflügel schwingen läßt. Daß das im Jahr von Drum'n'Bass nahezu anachronistisch anmutet und vorerst bloß im Dub Club der Kulturbrauerei und bei WOM Steglitz über den Lautsprecher läuft, sollte keinen Anlaß zur Besorgnis geben. Schließlich ist Kalle Max Hoffmann 22 Jahre jung und hat mit seinem „Grooviak“-Label viel vor. Als „Elemental Master“ wird er demnächst den Digital Dance Dub erfinden und dazu noch in diesem Jahr die „Shiva Sounds“ erklingen lassen.
Wenn er dann noch, wie angekündigt, 1997 eine Instrumental- HipHop-Produktion, eine Experimental-Ambient-Dub-Geschichte und das ultimative Trip- Pop-Album bringt, wird wahrscheinlich sogar sein ehemaliger Musiklehrer überzeugt sein. Der nämlich gab ihm frecherweise eine satte Vier. Gunnar Lützow
Lüderitz: Los Lüderitz! (Rent a Poet)
Weedforce: Homegrown (Grooviak)
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