Village Voice: Ewig Fernweh
■ Erste Platten von den Kolporteuren und De Ruths
Ihr Punkrock läßt kaum Platz für Assoziationen. Die Kolporteure scheinen zu wissen, wer wann und warum in Deutschland erstmals Punk spielte. Aus jeder Note tropfen Slime und Konsorten, aber leider auch kaum mehr. Was einem immerhin zweierlei klar macht: Mit welch langweiligem Schlagzeugspiel man früher gequält wurde, und daß Gitarren doch ganz schönen Schaden in einer eigentlich recht ausgeglichenen Seele anrichten können.
Textlich versöhnt sich auf dem „wahn oder wahr?“ getauften Debüt der 1995 gegründeten Kapelle, was besser vielleicht niemals zueinander gefunden hätte. Da wird zwar im klassischen Tonfall, der gar nicht merkt, wie herrisch bellend er daherkommt, gesungen.
Und auch die Worte sind abrupt und kurz gesetzt, auf daß der Slogan funktioniere. Aber dann liest man los und da stehen gar keine Slogans, sollen sich keine Bullenschweine verpissen oder Deutschländer verrecken, sondern finden introspektive Betrachtungen statt. Als hätte Didi seine olle Keule Stulle auf die Couch gelegt. „verseuchung, aus enttäuschung, unbetretbar, dieser boden, vorbei die lebenswogen“.
In RAFscher Kleinschreibung bricht sich genau die ungenaue Assoziationskraft auf ein neues Bahn, die man traditionellerweise in Neufünfland anzutreffen pflegte. Aber zwischen den Zeilen gibt es hier nichts zu lesen. Manchmal scheint es, als wären Schiller und Goethe in eine Besetzerkneipe im Prenzlauer Berg gestolpert und hätten sich dort mit Berliner Pilsener abgefüllt. „brennen ohne hitze, vor kälte nun schwitze“, und ich freß dich, wenn du dich nicht auf der Stelle reimst.
Ebenso althergebrachte wie angegammelte Kampfaufrufe fehlen auch nicht: „der wein wird schal, das schlachtfeld kahl, der intellekt soll mal anstatt zu reden lieber kämpfen.“ Oder wie wär's damit: „die zeit ist reif, revolution, es kommt ein neuer wind, quartier latin.“ Das herzerfrischend kostenlose [030] fand das „ziemlich poetisch“, die BZ es „textlich anspruchsvoll“. Jedem das Seine.
Weil wir gerade bei den späten Siebzigern sind. Die erste Platte von De Ruths beginnt mit einem herzhaften „Hossa“ und dann tobt der Off-Beat. Auch auf „Schönschönschön“ wird Ost und West versöhnt, aber halt nur auf musikalischer Ebene. Über einem nicht allzu hektischen Ska tummeln sich osteuropäische Weisen, als wäre es das Natürlichste von der Welt.
Dann mag man es mal südamerikanisch, mal im Ton-Steine-Scherben-Stomp, mal ganz schlichten Mainstreamrock, mal muß es dann ein Dreivierteltakt sein – und die Butterkreuzfahrt ist lange noch nicht zu Ende. Man legt keinen Wert auf Respekt, scheint Spaß zu haben und sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Gesungen wird deutsch und was die Schulbildung sonst so hergibt: spanisch und russisch. Gesungen wird von den Träumen, die sich „irgendwo im Sand verliefen“, vom Schiff, das „ins Uferlose treibt“, von einer Welt, in der die Beine „schluchzen“, und was da sonst noch ist an Metaphern, die bisher keiner brauchte, die aber doch hübsch zu singen sind. Und zum Ende bekommt wieder einmal das für die Prenzlauer-Berg-Szene so mystische Hiddensee seine Huldigung.
Nicht nur die allgegenwärtigen Matrosen und das ständig vom Fernweh bedrängte Wasser in all seinen Erscheinungsformen erinnern an Keimzeit, auch die Tatsache, daß man sich ganz prima hinter all den Bildern verstecken kann.
Wer verstehen will, der versteht, den Rest geht es eh nichts an. Aber weder sind ihre Texte so extrem in sich verschlossen und selbstgenügsam wie die keimzeitschen, noch stehen sie so im Vordergrund. Eine bibelsicher eingeschworene Fangemeinde haben De Ruths nicht zu erwarten, eher schon einen Haufen bis an die Grenzen des Belastbaren Amüsierwilliger. Aber solange dieser Gemischtwarenhandel in Partyspaß so entzückend daherhoppelt, soll es recht sein. Thomas Winkler
Die Kolporteure: „wahn oder wahr?“, Amöbenklang/ EFA (Record Release Party am 17. 1., 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224)
De Ruths: „Schönschönschön“ (Selbstverlag, Telefon und Fax:
971 34 30)
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