Village Voice: Müde Salonlöwen
■ Neues von altbekannten Berliner Bands
Diese Band hat es in ungefähr einem Jahrzehnt ihres Bestehens zwar zu einem recht hohen Bekanntheitsgrad gebracht, aber die Emotionen, die sie weckt, sind doch eher unterkühlt: Herbst in Peking. Das wird sich mit „Feuer, Wasser und Posaunen“ kaum ändern, denn ihr Grundproblem bleibt dasselbe: Zwar reproduziert sie meist altbekannte Muster, aber davon so viele verschiedene, daß sie für den Mainstream zu sperrig bleibt. So folgt hier ein hörspielartiges Geflimmer einem eher tumben Hard-Rock- Stück. Ein extracooler Talking Blues wird abgelöst von Gothic- Schwülst und mittelalterlichem Geflöte. Die eingespielten Schnipsel russischer Revolutionschöre wirken da ebenso fehl am Platz wie das gern mit Brachialgitarren zur Schau getragene Rockertum.
Denn genau das, Rocker nämlich, bleiben Herbst in Peking auch weiterhin, selbst wenn sie vor ungefähr drei Jahren die Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung entdeckt haben. Ein paar zwar auch schon recht angestaubte, aber doch eigentlich ganz nette Dance-Beats wie in „Jesus im Schnee“ haben keine Chance gegen eine langweilige Feuerwehr-Gitarre. Und den guten alten Heiland als zu früh gekommenen Popstar zu verstehen, ist auch keine so brandneue Idee von Sänger und Texter Joswig, der Sachen wie „Sechs Liter Blut, mehr kann ich nicht geben/ Sechs Liter Blut, das ist mein Leben“ singt. Nur selten steuert dazu seine mal wieder umbesetzte Band enervierend monotone Bassläufe und unaufgeregte Gitarrenlicks und überhaupt eine so grandiose Ödnis bei, daß einem vor lauter Trostlosigkeit ganz warm ums Herz wird. In diesen musikalisch wirklich aufbauenden Momenten, wenn sich so was wie Gefühl dann doch gegen affektiertes Künstlergehabe durchzusetzen scheint, ausgerechnet dann packt Joswig seine tollste Ich- bin-ja-so-cool-Stimme aus, die nicht einmal mehr als Karikatur ihrer selbst funktioniert. Man möchte ihn würgen, wenn er dann nur endlich still wäre.
Bei Britannia Theatre ist eh alles Pose. Jedenfalls sieht es so aus, auch wenn sie vehement das Gegenteil behaupten. Die Berufsmelancholiker aus Pankow erkannten zwar durchaus immer eine Ironie in ihrem Schaffen, nahmen sich allerdings ernster, als ihnen das selber manchmal gut tat. Darin bestand allerdings auch wieder ihre Stärke, denn gerade weil ihre zugleich tieftraurige wie manisch fröhliche Musik nicht von vornherein als Karikatur angelegt war, blieb sie nicht nur ein intellektuelles Spielchen, sondern funktionierte auch emotionell.
Auf ihrer neuen Platte „Moos & Berge“ scheint Sänger und Songschreiber Sunny Krohn nun aber endgültig zum Salonlöwen auf Depressiva mutiert zu sein. Die Humpta-Sequenzen, die in ihrer desperaten Fröhlichkeit an die Pogues erinnerten, gehören fast vollständig der Vergangenheit an. Was bleibt, ist nur die Verzweiflung allein. Exemplarisch im die Platte beschließenden Titelstück, einer mehr als acht Minuten langen Qual. Wenn der Rhythmus sich nicht völlig verabschiedet, knattert er auf eine sehr unromantische, fast brutale Art und doch zerbrechlich daher. Der Monolog Krohns, der nichts weiter beschreibt als ein surrealistisches Stilleben, läßt sich zu keinem Zeitpunkt auf eine Melodie ein, während die Band ziellos auf- und abschwillt, als hätte sie Angst, weil jeder Song einmal zu Ende gehen muß.
Andere Lieder mögen heftiger sein, fröhlich wird es niemals. Was ihnen da wohl für Läuse über die Leber gelaufen sind? Vielleicht wollten sie auch nur ein für allemal den zwar absurden, aber immer wieder gerne wiederkehrenden Vorwurf in den Boden stampfen, sie wären nur ein Abklatsch der Leningrad Cowboys. Thomas Winkler
Britannia Theatre: „Moos & Berge“ (Moloko/ Megahon)
Herbst in Peking: „Feuer, Wasser und Posaunen“ (Moloko/ EFA)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen