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„Viel, viel Geduld“

Bundesdeutsche Handballer wollen über die B-WM wieder erstklassig werden  ■  Von Uwe Dietz

Genau vier Monate, bevor es ernst wird, läutete die bundesdeutsche Handball-Nationalmannschaft der Männer in der vergangenen Woche die wichtige Phase der Vorbereitung auf die B-Weltmeisterschaft in Frankreich ein. Und gleich mußten Fans wie Funktionäre, Spieler wie Trainer erkennen, wo die Glocken hängen. Denn auch die die Länderspielbilanz verschönernden Resultate gegen Weltmeister Jugoslawien konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) noch weit davon entfernt ist, ihrem Anspruch auf einen Platz im Konzert der Besten gerecht zu werden. Denn nur darum, um die Qualifikation für die A-WM 1990, kann es im kommenden Februar gehen.

Darauf zielen alle Anstrengungen, dafür wurde ein Mann namens Petre Ivanescu, gleichermaßen unbequem und erfolgsbesessen und sportlich anerkannt wie kompromißlos, zum Bundestrainer gemacht. Doch schon im Vorfeld der beiden Erfolge (29:26 in Stuttgart, 22:19 in Karlsruhe) und des 22:22-unentschieden von Frankfurt, allerdings gegen den zwei Wochen nach Olympia saft- und kraftlosen Bronzemedaillengewinner von Seoul, war wieder einmal vorgeführt worden, daß der bundesdeutsche Handball sich die größten Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg immer noch selbst auftürmt.

Daß mit Wolfgang Kubitzki von TUSEM Essen der 28jährige Spielmacher der Wunschformation von Petre Ivanescu Anfang Oktober seine sportliche Karriere einer beruflichen als Entwicklungshelfer in Uganda opferte, und daß andere wichtige Akteure aufgrund verschiedener Prüfungen „mit ihren Gedanken nicht voll beim Handball“ sind, dafür hat der Bundestrainer ja noch Verständnis. Daß jedoch die Bundesliga -Vereine, nachdem sie der Nationalmannschaft sein Vorbereitungsprogramm bereits im Sommer kräftig zusammengestrichen hatten, immer noch an der Ansetzung von Lehrgängen und Länderspielen herummäkeln, das verschlägt dem 52jährigen schlicht die Sprache: „Mit denen rede ich vor Februar überhaupt nicht mehr.“

Ob's dem Trainer hilft, sich nun in die Schmollecke zurückzuziehen und sich nur noch ganz auf die „reizvolle Aufgabe B-WM“ zu konzentrieren, bleibt abzuwarten. Denn es rumort doch ganz kräftig in deutschen Handball-Landen. Eine Entscheidung des DHB-Bundestages vom Mai erhitzt seit Saisonbeginn die Gemüter, entzweit den Verband und hinterläßt auch in der Nationalmannschaft ihre Spuren. Da wurde mit überwältigender Mehrheit beschlossen, daß ein Akteur, der während eines Spieles für unsportliches Verhalten oder Tätlichkeit die Rote Karte sieht, automatisch für vier Wochen gesperrt wird. Doch schon nach zwei Spieltagen stellte sich heraus, daß die Theoretiker im Bundestag keine Ahnung und die Praktiker nicht mitgedacht hatten. Denn je nach dem Zeitpunkt des Feldverweises kann eine solche Sperre dazu führen, daß der eine Sünder vier oder sechs Spiele ausfällt, während ein anderer bei der Konkurrenz vielleicht nur einmal oder sogar überhaupt nicht zuschauen muß. „Wettbewerbsverzerrung“ lautete folglich der Aufschrei in der Handballgemeinde.

Und bevor sich der erweiterte Vorstand des DHB noch ernsthafte Gedanken darüber machte, wie der Bundestagsbeschluß umzustoßen sei, unter seinen Mitgliedern „aus Solidarität zum höchsten Verbandsorgan“ jedoch bei weitem nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zusammenbekam, hatte sich auch Bundestrainer Ivanescu wieder zu Wort gemeldet: „Ein Skandal, wenn einige meiner Stammspieler mehrere Wochen pausieren müssen“, fürchtete er um die Spielpraxis seiner Leistungsträger, eine Einstellung, die sich bei den Länderspielen gegen Jugoslawien auch bestätigte.

Denn mit Michael Klemm aus Dormagen und Jörg Löhr von Milbertshofen konnten zwei Rotkärtler erst hier nach Wochen wieder wettkampfgemäße Erfahrungen sammeln, und Ivaescu bestätigte trotz der guten Leistungen, die er Klemm bescheinigte, den „Rückstand“ habe er bemerkt.

Jörg Löhr war überhaupt erst durch allerhöchsten Beschluß erlaubt worden, in den Länderspielen aufzulaufen. Die dreimonatige Sperre des Kreisläufers, die er nach einem Fausthieb aufgebrummt bekommen hatte, war noch nicht abgelaufen. Das bedeutet normalerweise auch Pause in der Nationalmannschaft, wenn das DHB-Präsidium nichts anderes entscheidet. DHB-Generalsekretär Frank Birkefeld: „Der Vorstand behält sich vor, im Einzelfall über die Einsatzmöglichkeit gesperrter Spieler in Länderspielen zu entscheiden, wenn das zum Beispiel im nationalen Interesse liegt.“

Daß auf den gebürtigen Rumänen noch eine Menge Arbeit zukommt, daran besteht nach der ersten Woche der Vorbereitungen auf die B-WM kein Zweifel. Die Spiele gegen die Jugoslawen nutzte der Bundestrainer, um einige neue Spieler, wie den Kieler Frank Dahmke, zu testen. „Wir brauchen auf jeder Position zwei bis drei Alternativen.“ Außerdem muß Ivanescu seinen Akteuren noch etwas beibringen, was sie eigentlich nur mit der Nationalmannschaft lernen können. „Wir haben gesehen, daß unsere Leute eben Bundesliga -, aber keine Turnierspieler sind.“ Erste Gelegenheit dazu gibt es am kommenden Wochenende in der CSSR, wenn die DHW -Auswahl innerhalb von drei Tagen auf die Gastgeber, dann erneut auf Jugoslawien und Dänemark trifft. Ivanescu, der „100prozentigen Erfolg versprach: „Wir brauchen viel, viel Zeit und Geduld.“

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