Videospiel-Genre „cozy Games“: Zocken für eine bessere Welt
Unsere Kolumnistin zockt für ihr Leben gern. Seit einiger Zeit auch „cozy Games“, die in krisengebeutelten Zeiten mithilfe von Hoffnung unterhalten.
A ls ich vor der Bankfiliale in der Nebelschlucht ankomme, erwartet mich nur das Rauschen des Windes im dunklen Wald. Wo ist die blöde Bänkerin? Ich will ein längeres Schwert und dafür brauche ich die 2.800 Tacken von meinem Konto. Vielleicht ist es ein Bug? Ich gehe einmal raus und wieder rein. Immer noch nichts. Das kann nicht wahr sein! Hat sich diese Grille jetzt echt mit meinem Geld aus dem Staub gemacht? Frustriert schlage ich mit meinem Schwert gegen das Gebäude. Mit einem dumpfen Geräusch fällt der Pappaufsteller um. Ich wurde betrogen.
Wenn ich zocke, verschlucken mich die Spiele. Ich bin keine Zuschauerin wie in Büchern und Filmen, sondern ich handle und muss mit den Folgen klarkommen. Auch damit, dass meine Bänkerin in „Hollow Knight“ mit meinem Geld abgehauen ist.
Die virtuellen Welten sind so immersiv, dass sie mich verändern. Zwar bin ich nun Bänker:innen gegenüber nicht wesentlich misstrauischer als vorher, aber dass Videospiele unsere Persönlichkeit beeinflussen, ist wissenschaftlich erwiesen. Wie genau, das ist schwierig zu erforschen, weil Verhalten komplex ist und nie allein auf Videospiele zurückgeführt werden kann. Zum Beispiel wurde widerlegt, dass Killerspiele Menschen zu Amokläufer:innen machen.
Eine andere, nicht repräsentative Studie fand 2018 heraus, dass manche Zocker:innen traditionelle Geschlechterrollen bevorzugen, wenn sie Videospiele spielen, die solche häufig abbilden. Viele Spiele normalisieren diese und andere Formen von Sexismus. In „The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom“ stöhnen Frauen lasziv, statt zu reden. In „The Witcher 3: Wild Hunt“ tragen relevante weibliche Charaktere enge Kleidung über der sexy Figur.
Die Gegenbewegung
Gegen Sexismus kämpft man in den Games trotzdem selten. Dafür aber gegen andere Umwelt- oder Politikdystopien, so schrecklich, dass niemand dort leben wollen würde. In „The Last of Us“ muss man in einem totalitären Polizeistaat überleben. In „Witcher 3“ Autokratie und Armut. Und dazu springen überall Zombies oder Monster herum. Dieser Pessimismus ist logisch, schließlich will ich als Heldin das Böse besiegen. Spieler:innen brauchen solche Konflikte, die sie bewältigen müssen. Oder? ODER?
Seit einigen Jahren gibt es eine Gegenbewegung: „cozy Games“, Spiele mit lauschigeren, optimistischen Welten. Dort geht es nicht darum, Bösewichte zu killen. Stattdessen dekoriere ich Inseln und vernetze mich mit meinen Nachbar:innen („Animal Crossing“) oder baue einen Bauernhof und lebe im Einklang mit der Natur („Stardew Valley“). Für die Spieler:innen werden diese Welten zu Sehnsuchtsorten. Cozy Games unterhalten mithilfe von Hoffnung, und die ist in Zeiten von Rechtsruck, Klimawandel und Inflation politisch wichtig. Sie lässt uns Ziele für eine nachhaltige und soziale Gesellschaft entwickeln. Etwa: Die Welt vor den CO2-Emissionen der reichsten 10 Prozent retten? Das klingt doch nach einem cozy Spielkonzept für die Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation