Video der Woche: Der Online-Mensch ist einsam
Die Botschaft von Homo Modernus ist schrecklich, sein Video aber ein cooler Mix des Wittgensteinschen Tractatus Philosophicus mit Marshall McLuhans Medienapokalypse.
"Wenn Ludwig Wittgenstein und Marshall McLuhan in einem Paralleluniversum geheiratet hätten, dann hätte ihr Roboterkind so etwas wie diese Animation geschaffen", so die Video-Beschreibung zum YouTube-Video des Nutzers "Homomodernus". Tatsächlich ist diese neun Minuten lange Tipp-Animation ganz großes Kino.
Anders als der Blog Nerdcore, der das Video als "zu satirisch" abtut, hält die taz Satire auch dieses Mal für "Die Wahrheit". Denn die weibliche Roboterstimme, die uns die Tipperei vorliest, hat einfach Recht: Der moderne Online-Mensch ist so einsam wie kein Mensch zuvor. Er bildet sich ein, Künstler zu sein und ist doch nur ein einsamer Jäger nach Sinn, Steve Jobs ist sein Gott und Liebe ist für ihn ein Porno.
Es muss schon alleine deshalb stimmen, weil diese Wahrheit ganz im Stile von Ludwig Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus" daherkommt. Wittgenstein wollte durch knappe Aussagen und Definitionen die Allgemeingültigkeit seiner Sprachphilosophie beweisen. Seine Sätze bauen aufeinander auf und sind deshalb mathematisch durchnummeriert. Das Video beschreibt in Anlehnung an sein Traktat in 13.2 Punkten das Psychogramm des modernen Menschen.
Zweites Elternteil des Roboterkindes wäre Marshall McLuhan. Der Kommunikationstheoretiker prophezeite Anfang der 60er Jahre, dass wir nach der Überwindung der idiosynkratischen Druckkultur einmal in einem "globalen Dorf" leben werden. Als Resultat der elektronischen Abhängigkeit, in die sich die Menschen begeben, werde ihr Individualismus neue Formen annehmen, so seine These.
Glaubt man dem Video, sind das keine schönen Formen: Zunächst entsteht da das Universum, keiner weiß warum oder wie, nur dass man Geld braucht. Also müssen alle arbeiten, um zu leben und verlernen das Denken. So glaubt der moderne Mensch an nichts mehr - und glaubt damit alles. Er glaubt an Steve Jobs, seinen neuen Gott. Apple ist der neue Sinnlieferant für den modernen Menschen, denn Stil ist jetzt alles.
Noch mehr glaubt er nur an die Liebe. Liebe ist für ihn ein Strandspaziergang in Frankreich, im Jahr 1966, in schwarz und weiß - und wird dann zum Porno. Denn der moderne Mensch muss alles visualisieren: Beim Sex schaut er sich von außen zu und denkt "cool".
Der moderne Mensch ist ein leerer Projektor, also muss er irgendetwas produzieren, um sich nicht seiner eigenen Leere auszusetzen und wird somit zum Künstler. Er entwirft vor allem sich selbst: Er hat eine Vielzahl verschiedener Rollen und Identitäten, ist immer online und kehrt sein ganzes Inneres nach Außen, um in der Masse noch irgendwie aufzufallen. Keiner wird ihm diese Rollen anerkennend zurückspiegeln können, und so bleibt er auf ewig ein einsamer Jäger.
Wonach hat er vergessen. Steve Jobs wird's ihm schon sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
NGO über den Machtwechsel in Syrien
„Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“
Unterstützerin von Gisèle Pelicot
„Für mich sind diese Männer keine Menschen mehr“
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Trump und Selenskyj zu Gast bei Macron
Wo ist Olaf?
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!