Video der Woche: "Der abgefahrenste Diktator der Welt"
Shane Smith, Medienunternehmer aus New York, reist zu den Filmstudios von Pjöngjang in Nordkorea, erlebt dabei allerlei Verrücktes und verpasst eine Chance.
“Wir sind gerade aus Nordkorea zurückgekehrt. Ich kann nur sagen: 'Holy Fuck!'” So beginnt Shane Smith, 40-jähriger Chef des Medienkonzerns Vice mit Sitz in New York, seinen Reisebericht aus dem Reich des Kino-Genies Kim Jong-il. Unter dem Titel „North Korean Film Madness: Full Length“ ist er im Internet auf der Webseite VBS.TV zu sehen.
Es ist ein Film, der auf geradezu absurde Weise zu den Bildern passt, die in diesen Tagen aus Pjöngjang drangen. Sie zeigten Reihe um Reihe von Delegierten der Arbeiterpartei in Uniform und Zivil unter den überlebensgroßen Portraits jener beiden Männer, die Nordkorea als “Große Führer” seit über 62 Jahren beherrschen: Staatsgründer Kim Il-sung, der als “Präsident auf Ewigkeit” auch nach seinem Tode noch für sein Volk sorgt, und sein 68-jähriger Sohn Kim Jong-il, der sich heute am liebsten schlicht “Vorsitzender” oder “General” nennen lässt.
Wenn die Sprecher im nordkoreanischen Fernsehen die Namen ihrer Führer erwähnten, steigerte sich ihre Stimme zum schrillen Beben, Zeichen des Entzückens und der Ehrfurcht.
Eine Reise nach Nordkorea ist schwer zu organisieren. Nur wenige ausländische Besucher dürfen ins Land. Wer es endlich geschafft hat, ist seinen Gastgebern gewöhnlich vollständig ausgeliefert.
Sie bestimmen, in welchem Hotel man unterkommt, wann und wo gegessen wird, ob und wann man welche Sehenswürdigkeiten besichtigt, ob man einen Spaziergang machen darf und wohin. Die Übersetzer und Reiseführer bleiben gewöhnlich die einzigen Einheimischen, mit denen man ein paar Worte sprechen kann.
Kurzum, es ist eine höchst irritierende Situation, die durch fehlende Sprachkenntnisse - wer spricht schon koreanisch? - noch unangenehmer wird.
Filmemacher Shane Smith fand die Idee sehr reizvoll, dieses Absurdistan zu erkunden: “Das abgefahrenste Land der Welt” mit dem " abgefahrenensten Diktator der Welt”, wie Smith am Anfang seines Films sagt. Der Diktator ist nicht nur für seine Neigung zur Atombombe bekannt, sondern auch für seine Liebe zu Hollywood, Godzilla und Elizabeth Taylor.
Kim hat sogar Filme gedreht und Traktate über das Filmschaffen geschrieben. Er trägt den selbst verliehenen Ehrentitel “Genie des Kinos” und hat in Pjöngjang große Studios gebaut.
Ein Jahr lang muss Smith warten. Als er schließlich sein Visum erhält, geht es ihm genau wie so vielen anderen Besuchern vor ihm: Man zeigt ihm Monumente, Museen, Massengymnastik. Alles ist schon tausend mal gefilmt und fotografiert worden. Nur in die Filmstudios kommt er nicht hinein. Nach fünf Tagen fürchtet er, ganz umsonst nach Nordkorea gereist zu sein.
Smith übt mit seinem Übersetzer, wie man Kim Senior (“Präsident”) und Kim Junior (“Vorsitzender” oder “General” ) richtig anredet, und verspricht sich immer wieder dabei. Schließlich kämmt er seine Schnittlauch-Haare, lässt sich einen ordentlichen Anzug schneidern und verbeugt sich tief vor der Statue des Staatsgründers Kim Il-sung: “Danach änderte sich alles.”
So gelangt der Mann aus New York doch noch in die Studios, wo allerdings gerade niemand einen Film dreht. In einer irrwitzigen Szene debattieren eine Studio-Angestellte und Smiths Begleiter aufgeregt darüber, wie oft “Kino-Genie” Kim persönlich in den Studios war und was er dort getan hat: 350 mal ist er gekommen. 1.770 mal hat er den Filmschaffenden Belehrungen erteilt. Insgesamt leitete er 11.890 Projekte. Jeder einzelne Schritt Kims ist auf einer großen Schautafel aufgeführt, mit Datum.
Und so findet Smith in den Filmstudios von Pjöngjang genau das, was er gesucht hat: “Wahnsinn!”
Das alles ist amüsant und schmissig gemacht, aber es bleibt ein Nachgeschmack. Irritierend sind Sachfehler gleich am Anfang (Der ältere Kim starb nicht 1993, sondern ein Jahr später). Smith macht sich über den surrealen Personenkult in Nordkorea lustig und kommt dabei locker und cool rüber, im Gegensatz zu seinen Begleitern. Wir können nur ahnen, wie unwohl die sich fühlen müssen.
Smith erzählt, dass Kim einst ein südkoreanisches Paar – Schauspielerin und Regisseur - entführen ließ, um seine Filmindustrie aufzupeppen. Das ist bizarr, aber altbekannt. Es wäre schön gewesen, etwas mehr über Pjöngjanger Regisseure und Filme zu hören. Es gibt sie doch. Da hat er eine Chance verpasst.
Mein Tipp: Wer mehr über Nordkorea erfahren will, sollte sich auf jeden Fall auch die Filme der Briten Daniel Gordon und Nick Bonner anschauen. Deren Dokumentationen, unter anderem über die Massengymnastik Arirang (“A State of Mind”) und die Fußball-Nationalmannschaft, die 1966 in England bei der WM mitspielte (“The Game of Their Lives”), sind auch amüsant, aber klüger.
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