Video der Woche: Implantiertes Hören
Mit zwei Jahren hört ein Junge zum ersten Mal die Stimme seiner Mutter. Dank einer Innenohr-Prothese. Das Video über den gehörlosen Jungen ist ein Youtube-Hit.
BERLIN taz | Es geht weder um Sex, Crime oder Popstars, trotzdem ist das Video ein Hit: Über eine Million Aufrufe, mehr als 5000 mal positiv, 83 Mal negativ bewertet. Cooper, ein pausbackiger, zweijähriger Junge, sitzt an einem Tisch und wird dabei gefilmt wie er mit seinem Spielzeug spielt. Gleich zu Beginn sieht man eine Art Hörgerät hinter seinem Ohr. Es handelt sich um ein Cochlea-Implantat (CI). Die Erwachsenen, deren Stimmen man hört, reden ihm zu, der Junge reagiert darauf. Zumindest so lange das Gerät noch sitzt.
Das CI ist eine Innenohr-Prothese für gehörlose und hochgradig schwerhörige Menschen, die die Funktionen des Innenohres ersetzen soll. Es besteht aus drei Teilen: dem Implantat, einem Sprachprozessor und einem Mikrofon. In einer mehrstündigen Operation wird das Implantat in den Knochen hinter dem Ohr eingesetzt. Das CI wandelt Schallwellen, die vom Mikrofon aufgenommen werden, im Sprachprozessor in ein elektrisches Signal um, das die Hörnerven stimuliert und die Informationen an das Gehirn weiterleitet.
Nach der Operation ist ein langes Hörtraining erforderlich, um die Signale den bekannten Hörmustern zuzuordnen. Die Therapie wird mit dem Erlernen einer neuen Sprache verglichen.
Zur Hörprothese zwingen
Wann und mit welchem Erfolg die Sprache erlernt wird, ist individuell unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig. Bei Kindern und Jugendlichen mit Hörresten oder Spätertaubten beispielweise kann ein CI zur Verbesserung ihrer Lebensqualität führen. Bei prälingual (vor dem Spracherwerb ertaubten) Gehörlosen wird es schon schwieriger. Auch CI-Träger mit einem guten Hörerfolg stoßen auf Ihre Grenzen, beispielsweise in Räumen mit Hall, einer dichten Geräuschkulisse oder bei leerer Batterie. Trotz des allgemeinen Konsens, dass ein Cholea-Implantat die Verständigungsmöglichkeit der Betroffenen verbessern und somit zu einer höheren Lebensqualität beitragen kann, ist er allein kein Garant dafür, dass aus Gehörlosen Hörende werden.
Empfohlener externer Inhalt
Im Jahr 2010 sorgte ein Aufsatz in der Zeitschrift „Nervenheilkunde“ für eine hitzige Diskussion. In dem wissenschaftlichen Aufsatz, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mitfinanziert wurde, fordern die Autorinnen S. Müller und A. Zaracko einen Zwang zur Implantation eines CI, da jedes Kind ein Recht auf Gehör habe. Eltern, die sich weigern, ihrem Kind ein Implantat zu gönnen, werden als unmündig dargestellt.
In so einem Fall solle der Staat eingreifen und gegen den Willen der Eltern einen solchen Eingriff durchführen. Im gleichen Aufsatz wird suggeriert die „Deaf Community“ sei eine nicht ernst zu nehmende „Notgemeinschaft“.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund reagierte mit einer Stellungnahme, in der er seine Position darlegte und auf mögliche negative psychische und soziale Folgen eines CI hinwies. Nicht immer bedeute besseres Hören automatisch eine höhere Lebensqualität.
Außerdem lasse diese Einstellung die Gehörlosenkultur unberücksichtigt und sei für die Förderung und die Akzeptanz der Gebärdensprache hinderlich: „Wieso sollte eine gebärdensprachliche Förderung von Kleinkindern unterstützt und finanziert werden, wenn es doch die juristische Möglichkeit gibt, ein Implantat zu erzwingen?“
Debatte mit ethischen Fragestellungen
Auch die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. sprach sich in einem Offenen Brief gegen eine Entmündigung der Eltern, die im Entzug des Sorgerechts gipfelt aus, und plädiert für eine differenzierte Herangehensweise.
„Zu einer vernünftigen ethischen Haltung gelangt man gleichwohl nur, wenn man anerkennt, dass sich individuelles Leben irgendwo zwischen den großen Alternativen abspielt und es eine Alternative zum Respekt vor der individuell zu treffenden Entscheidung nicht gibt“, so Prof. Dr. Jens Heßmann in seiner Stellungnahme.
Vielleicht verbergen sich hinter den 83 negativen Bewertungen unter dem Video ein paar Stimmen, die auf diese Problematik aufmerksam machen und zum näheren Hinsehen anregen wollten.
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