Video der Woche: Was Sokrates zur Krise sagen würde
Der Kurzfilm „Greece, Year Zero“ nähert sich der Eurokrise aus einer Perspektive jenseits von ESM, Euro und Troika. Er lässt den Philosophen Sokrates zu Wort kommen.
Berlin taz | Was würde wohl der Philosoph Sokrates sagen, wenn er heute, nach 2400 Jahren auf Griechenland und die Stadt Athen schauen würde? Damals, kurz vor seinem Tod, lag Athen am Boden, zerstört und gedemütigt durch den Krieg mit Sparta. Die Straßen waren voller kranker und wütender Menschen, die wenig Hoffnung sahen. Eine Analogie zur heutigen Zeit, die sich kaum leugnen lässt.
Passend dazu beginnt der Kurzfilm „Greece, Year Zero“ mit einer Passage aus der „Verteidigung des Sokrates“ nach Platon. Sokrates wurde für sein gottloses Verhalten angeklagt und spricht zu den Athenern. Er sieht sich als Opfer der Lügengeschichten, die über ihn verbreitet und so überzeugend dargelegt wurden, dass er selbst sie beinahe geglaubt hätte, erklärt Sokrates. Der Vorspann ist komplett auf Griechisch, sollte jedoch niemanden abschrecken. Er ist die Einleitung zu einem streitbaren Kurzfilm.
Heute steht Griechenland am Pranger und ist die Hauptfigur der Eurokrise. Europa ist uneins darüber wie mit ihr umzugehen ist. Gestritten wird über den europäischen Rettungsschirm, Eurobonds und das Memorandum für Griechenland. Rating-Agenturen verbreiten Schrecken, indem sie die Bonität von immer mehr Ländern abstufen. Offen wird gar über den Austritt Griechenlands aus der EU diskutiert. Auch andere Länder Südeuropas stehen kurz vor dem Kollaps – so heißt es. Verzweifelt wird nach einer Lösung gesucht, dabei stehen vor allem wirtschaftliche Faktoren im Vordergrund.
Nicola Sessa, der Regisseur des Kurzfilms, möchte eine andere Seite der Krise beleuchten, eine „menschliche“, wie er sagt und hofft, dass ihm das mit „Greece, Year Zero“ in 15 Minuten gelungen ist. Zu Wort kommen verschiedene Verteter der Zivilgesellschaft, vor allem aus dem linken Spektrum. Der Sprecher der linksradikalen Partei „Syriza“ bezeichnet die aktuellen politischen Ereignisse in Europa als Krieg und sieht Griechenland als eine Art Versuchskaninchen, stellvertretend für andere Länder Südeuropas. „Weil dieses Europa nicht zulassen kann, dass ein Land der Europäischen Union von einer linksradikalen Partei regiert wird“, so der Politiker.
Sokrates über die Krise
Empfohlener externer Inhalt
Der Gewerkschaftsführer Ilias Vrettakos warnt vor negativen Auswirkungen des europäischen Memorandums auf die Fundamente der griechischen Gesellschaft. Die damit verbundenen Kürzungen verstärkten die bereits vorhandene Armut. Betroffene seien besonders anfällig für rechtsradikale Ideologien – eine große Bedrohung für Griechenland in der wirtschaftlichen Krise, in der man nach Sündenböcken von außen sucht.
Yanis Simonides, ein alter Mann mit weißem Bart und sanfter Stimme, spielt Sokrates und ermahnt die Athener, sich weniger von Gier und Materiellem leiten zu lassen. Er hält sie zu mehr Voraussicht an und dazu, sich nicht nur vom Glanz, von egoistischen, kurzzeitigen Motiven leiten zu lassen. Zu ihrem eigenen Schutz erinnert er sie an ihre „Interdependenz“. „All die Institutionen im Finanzsektor sind nicht von Grund auf schlecht. Wir, die Menschen, haben sie so geschaffen.“
An dieser Stelle klingt „Greece, Year Zero“ versöhnlich und hoffnungsvoll. Das Bild, welches der Kurzfilm sonst von Griechenland vermittelt, ist eher dramatisch und düster. Man kann Nicola Sessa den Vorwurf machen, sich dem Thema zu parteiisch und klischeehaft zu nähern. Vielleicht hat er aber auch gar nicht den Anspruch politisch korrekt und objektiv zu sein.
Der Film berührt durch seine Bilder und bleibt, trotz seines stellenweise romantisch-verklärenden Tons, spannend. Das Thema liegt dem italienischen Filmemacher am Herzen. Sein Kurzfilm ist der erste einer Serie von weiteren Episoden, die nächstes Jahr entstehen sollen – über die Krise in Spanien, Portugal, Irland und Italien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins