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Vetternwirtschaft über den Wolken

Unternehmer und Manager gehen mit Angela Merkel (CDU) und Philipp Rösler (FDP) gern auf Reisen. Denn Bundeskanzlerin und Wirtschaftsminister gelten als Türöffner bei Auslandsgeschäften. Nicht auf der Rechnung: Den exklusiven Platz im Regierungsflieger bezahlt der Steuerzahler. Organisationen wie Transparancy International verlangen zudem mehr Transparenz bei Delegationsreisen, sie warnen vor einer Vetternwirtschaft über den Wolken

von Jürgen Lessat

Um den Euro zu retten, flog Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Sommer mit fast dem gesamten Kabinett nach Peking. Die Bittstellerin aus dem krisengeschüttelten Europa erntete bei den chinesischen Parteiführern viel Verständnis, aber nur unverbindliche Hilfszusagen. In Champagnerlaune waren dagegen Wirtschaftsbosse wie Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger und SAP-Vorstandssprecher Jim Hagemann Snabe. Sie gehörten zu der 19-köpfigen Wirtschaftsdelegation, die auf Einladung von Angela Merkel Mitte 2012 an Bord des Regierungsfliegers mit nach China flog.

Während der zweitägigen Stippvisite ins Reich der Mitte machten sie glänzende Geschäfte. VW-Chef Martin Winterkorn freute sich, den Bau eines neuen Getriebewerks in China zu besiegeln. Allen voran ergatterte der Flugzeugbauer EADS mit einem Volumen von zusammen rund fünf Milliarden Euro die größten Aufträge. So soll etwa die EADS-Tochter Airbus den Chinesen 50 Mittelstrecken-Flugzeuge der A-320-Familie liefern. Zur Feier des Tages legte Merkels Regierungsjet „Konrad Adenauer“ vor dem Rückflug einen Umweg über Tianjin ein. In der Industriestadt knapp 120 Kilometer südöstlich von Peking steht das einzige außereuropäische Airbus-Montagewerk. Die Bundeskanzlerin gratulierte den EADS-Statthaltern zum 100. Airbus „made in China“.

„Nur für den Dienstgebrauch“

Der Flug der „Konrad Adenauer“ nach Peking hat rund 375.000 Euro gekostet. Auf der Rechnung blieb überwiegend der Steuerzahler sitzen. Gerade einmal 16.480 Euro konnte das Bundesverteidigungsministerium als Kostenerstattung durch Mitflieger verbuchen. Zur Kasse gebeten wurden auch die Vorstände der größten deutschen Konzerne. Eine Schnäppchenreise. 504 Euro für einen Flug der Luxusklasse.

Während jeder Arbeiter oder Angestellte, der mit Bus oder Bahn zur Arbeit fährt, einen Fahrschein kaufen muss, verzichtet die Bundesregierung bei Mitfliegern großzügig auf ein angemessenes Entgelt. Und das völlig legal. Zumindest wenn man von den als vertraulich eingestuften („nur für den Dienstgebrauch“) „Richtlinien für den Einsatz von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft des Bundesverteidigungsministeriums zur Beförderung von Personen des politischen und parlamentarischen Bereichs“ ausgeht. Die von der Bundesregierung zuletzt 2001 geänderten Richtlinien gestatten es der Bundeskanzlerin, „besondere Gäste“ und „persönliche Begleiter“ kostenfrei im Regierungsflieger mitzunehmen. Auch Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) dürfen Gratistickets auf ihren Dienstflügen verteilen.

Die Richtlinien erlauben es den anderen Ministern, für Mitreisende ein Ticket von 30 Prozent des Economy-Tarifs abzurechnen. Vorausgesetzt, die Reise ist „im Bundesinteresse“. Besteht gar „dringendes Bundesinteresse“, dürfen auch „gewöhnliche“ Gäste von Philipp Rösler und Co. kostenlos mitfliegen. Wann ein Mitflug im Interesse des Bundes ist, unter welchen Bedingungen es sogar dringend wird, definiert das Geheimpapier nicht.

Für Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler (BdSt) ein inakzeptables Privileg, und zwar für beide Seiten. „Eine Delegationsreise ist ein Win-win-Geschäft, nicht nur für die Politik, sondern auch für die Unternehmen selbst. Daher ist es legitim, dass sie sich an den Kosten beteiligen“, fordert der BdSt-Präsident.

Kosten der Regierungsflotte auf Höhenflug

Rund eine Milliarde Euro hat es gekostet, die weiße Regierungsflotte mit modernem Fluggerät auszurüsten. Zuletzt schossen die jährlichen Aufwendungen für den Flugbetrieb der neun VIP-Jets und drei Hubschrauber, um die sich über 1.200 Soldaten und zivile Mitarbeiter an den Standorten Köln-Wahn und Berlin-Tegel kümmern, rasant in die Höhe: Seit dem Jahr 2009 um 62 Prozent auf nunmehr 34 Millionen Euro.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler nimmt immer wieder Unternehmer in seinem Dienstflieger mit. So zum Beispiel zur 13. Asien-Pazifik-Konferenz, die im vergangenen Herbst in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi stattfand. Mit dem Minister checkten etwa Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), und der damalige Siemens-Chef und Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses des DIHK, Peter Löscher, im komfortablen Luftwaffen-Airbus ein. Mit 66 VIP-Gästen hob die A 340 am Abend des 31. Oktober 2012 von Berlin-Tegel Richtung indischer Subkontinent ab.

Die Mitfluggelegenheit hat sich gelohnt. Knapp 8.000 Euro kostet immerhin ein Lufthansa-Ticket erster Klasse nach Delhi und zurück. Bis zu 2.300 Euro verlangt die Kranich-Linie auf der gleichen Strecke noch in der Economy-Klasse.

Die Plätze im Regierungsflieger sind aber vor allem aus einem anderen Grund begehrt. „Während des Fluges ergibt sich immer eine Gelegenheit, mit dem Minister persönlich zu sprechen“, schildert ein süddeutscher Unternehmer, der schon mit Röslers Vorgängern auf Reisen war, welchen Nutzen ein Mitflug hat. Die stundenlangen Flüge bieten den Konzernbossen und Mittelständlern die passende Gelegenheit, „zu erzählen, wo gerade der Schuh drückt“, beschreibt der Delegationsprofi den direkten Draht zur Bundesregierung.

Die Antikorruptions-Organisation Transparency International (TI) sieht Delegationsreisen der Bundesregierung kritisch. „Jedes Unternehmen, das an einer solchen Reise teilnehmen kann, hat natürlich einen Wettbewerbsvorteil. Nicht nur im Hinblick auf Kontakte zu möglichen Auftraggebern, sondern auch im engen Kontakt zu politischen Personen“, sagt die TI-Vorsitzende Edda Müller. Nach welchen Kriterien die Delegationsteilnehmer ausgewählt werden, sei undurchschaubar. Die Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine entsprechende Anfrage schafft keine wirkliche Aufklärung. „Die Teilnehmer einer Wirtschaftsdelegation werden grundsätzlich im Wege eines Interessenbekundungsverfahrens unter Einbindung der Wirtschaftsverbände ausgewählt. Generell ist ein sachlicher Bezug zu den Themen und Veranstaltungen der jeweiligen Reise notwendig“, versichert die Pressestelle. Wer letztlich an Bord gehen darf, entscheidet aber allein das Ministerium.

Auch Wirtschaftskanzleien reisen mit

Die Passagierlisten, die gewöhnlich unter Verschluss bleiben, entkräften den Verdacht des gegenseitigen Gebens und Nehmens nicht. Denn sie listen immer wieder auch Firmenvertreter auf, deren Unternehmen in geschäftlichen Beziehungen zum Bund oder staatlichen Unternehmen stehen. Mit mehreren Delegationslisten konfrontiert, erklärte TI-Vorsitzende Edda Müller: „Es ist wirklich erstaunlich, dass auch Unternehmensberater mitreisen, die möglicherweise im Auftrag der Bundesregierung Gutachten schreiben. Das ist schon sehr verwunderlich.“

So war auf Röslers Indienreise etwa Freshfields Bruckhaus Deringer mit von der Partie. Die internationale Wirtschaftskanzlei, in Deutschland die größte ihrer Art, gilt als wichtigster Berater der Bundesregierung in der Finanzkrise. Nach der Lehman-Pleite formulierten ihre Anwälte 2009 für den damaligen Bundesfinanzminister und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, besser bekannt als Rettungsschirm für Pleitebanken. Das Gesetz kostete den deutschen Steuerzahler bislang geschätzt 70 Milliarden Euro. Auf Kritik stieß damals, dass fast alle führenden Banken der Republik ebenfalls zu den Mandanten der Kanzlei gehören.

Ins Gerede gekommen war Freshfields Bruckhaus Deringer schon früher, weil es den 17.000 Seiten umfassenden Geheimvertrag zur Lkw-Maut Toll Collect ausgearbeitet hatte. Wegen technischer Schwierigkeiten ging das Mautsystem erst mit 16-monatiger Verspätung Anfang 2005 in Betrieb, was Einnahmeausfälle für den Bund in Milliardenhöhe bedeutete. Im Jahr 2009 auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigen, dass der Vertrag dem Betreiberkonsortium von Toll Collect (Daimler, Deutsche Telekom sowie die französische Cofiroute) eine jährliche Traumrendite von 19 Prozent zusicherte. Aktuell befasst sich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) damit, wie es mit dem Mautsystem nach Auslaufen der ersten Betriebsgenehmigung weitergeht. Noch nicht entschieden ist der Streit über Schadenersatzansprüche des Bundes durch die verspätete Inbetriebnahme.

Angela Merkels und Philipp Röslers Delegationslisten enthalten auch Namen, die derzeit in den Schlagzeilen stehen. So reisten mehrmals EADS-Manager mit den beiden nach China und Indien. Die Rüstungssparte des Luft- und Raumfahrtkonzerns war als Joint-Venture-Partner am Bau der Aufklärungsdrohne Euro Hawk beteiligt, die wegen fehlender Zulassung vor Kurzem eine Bruchlandung hinlegte. Bezeichnend: Der oberste Dienstherr der Flugbereitschaft, Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), steht seitdem unter Druck, weil er das 600 Millionen Euro teure Drohnen-Debakel nicht früher stoppte. Zum EADS-Portfolio gehört ein weiteres Pannenprojekt von de Maizière: der fast serienreife Truppentransporter A 400 M, der ebenfalls noch keine Zulassung hat.

Mehr Transparenz gefordert

Transparenz hilft gegen vermeintliche Vetternwirtschaft über den Wolken, glaubt Edda Müller. „Im Vorfeld sollte eine Delegationsreise angekündigt werden, damit jeder sich bewerben kann. Und im Übrigen sollte immer veröffentlicht werden, wer daran teilnimmt“, schlägt die Vorsitzende von Transparency International vor. Ähnliches fordert auch Steuerzahlerbund-Präsident Holznagel: „Die Bundesregierung muss sachlich begründen, warum der- oder diejenige eingeladen wird“, sagt er.

Doch mit mehr Transparenz allein über den Wolken ist es offenbar nicht getan. Wenn Philipp Rösler im Ausland ist, dann stehen auch immer Vor-Ort-Visiten bei deutschen Firmen auf dem Programm. So auch während der Asien-Pazifik-Konferenz im vergangenen November in Indiens Hauptstadt. „Wirtschaftsminister Rösler besucht Herrenknecht-Baustelle“, berichtete stolz der Schwangauer Hersteller von Tunnelbohrmaschinen. Zwei sogenannte Erdruckschilde (EPB) fahren derzeit unter der historischen Altstadt von Delhi neue U-Bahn-Röhren auf. Chef-Bohrerbauer Martin Herrenknecht selbst begleitete Kanzlerin Merkel im Februar 2012 nach China, wo derzeit Straßen- und Bahntunnel in Hülle und Fülle zu bauen sind. Bekanntlich sollen sich Herrenknechts Riesenbohrer bald auch durch heimisches Gestein wühlen: beim Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21.