Veto gegen Gesetze: Weg frei für Klagen gegen EU
Der Bundestag will Klagen gegen EU-Akte erleichtern. Schon eine Minderheit von einem Viertel der Abgeordneten soll eine Klage erzwingen können.
FREIBURG taz Der Bundestag will Klagen gegen EU-Akte erleichtern. Künftig soll schon eine Minderheit von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten eine Klage erzwingen können. Dieser Schritt ist so oppositionsfreundlich, dass an diesem Donnerstag sogar das Grundgesetz geändert werden muss.
Anlass für die Grundgesetzänderung ist die Ratifizierung des EU-Reformvertrags von Lissabon. Unter anderem soll dort die Rolle der nationalen Parlamente bei der EU-Gesetzgebung gestärkt werden.
Die nationalen Parlamente sollen zum einen eine Art "Frühwarnsystem" für das schon länger geltende Subsidiaritätsprinzip bilden. Das Prinzip besagt, dass die EU nur dann Rechtsakte erlassen kann, wenn sie die Materie besser als die Mitgliedstaaten regeln kann. Was das konkret heißt, weiß allerdings niemand, weil die Leistungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist.
Wenn binnen acht Wochen nachdem die EU-Kommission einen Vorschlag vorgelegt hat, die Mehrzahl der Parlamente eine Verletzung der Subsidiarität moniert, dann muss die Kommission ihren Vorschlag überprüfen. Wird der Vorschlag im Ministerrat dennoch beschlossen, so kann jedes nationale Parlament dagegen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Bisher konnte nur die Regierung eine Subsidiaritätsklage einreichen.
In Deutschland wird diese EU-Vorgabe nun auf ungewöhnliche Weise umgesetzt. Der Bundestag muss bereits dann eine Klage einreichen, wenn lediglich ein Viertel der Abgeordneten dies verlangt. Dies sieht ein neuer Absatz im Grundgesetz vor, den das Parlament am Donnerstag auf Antrag aller Fraktionen außer der Linken beschließen wird.
Umstritten war lange, ob ein Drittel oder ein Viertel der Abgeordneten für eine Klage erforderlich ist. Die Entscheidung fiel nun für ein Viertel, weil die Opposition aus FDP, Linken und Grünen zusammen gerade mal die Viertel-Hürde überspringt.
Das neue Klagerecht kann dazu führen, dass EU-Vorhaben künftig noch mehr als bisher destruktiv ("die EU darf das nicht") und noch weniger politisch-inhaltlich diskutiert werden. In der derzeitigen Konstellation müssten allerdings Grüne, FDP und Linke zusammenarbeiten, was bloße Agitprop-Klagen erschwert. Wenn aber SPD oder Union wieder in der Opposition sind, könnten sie allein jedes umstrittene EU-Projekt, dem die Bundesregierung zugestimmt hat, überprüfen lassen.
Dabei würde aber vermutlich wenig herauskommen, denn der EuGH hat bisher noch nie eine Verletzung des - vagen und schillernden - Subsidiaritätsprinzips angenommen. Für die politische Atmosphäre wäre aber eine ständige Diskussion um Klagen gegen vermeintliche Übergriffe der EU eher gefährlich.
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