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Verwüstungen jüdischer Friedhöfe: Das Ausmaß nimmt zuVerführte haben ihre Verführer

■ Die Kette von Grabschändungen im Südwesten Deutschlands reißt nicht ab. Die zwei Anschläge vom vergangenen Wochenende im Kreis Ludwigsburg waren die letzten in einer Serie von 17 Anschlägen auf jüdische Friedhöfe in diesem Jahr. Für fünf dieser „üblen Eskalationen menschlichen Handelns“ (Baden-Württembergs Innenminister Schlee, CDU) macht die Sonderkommission beim Stuttgarter Landeskriminalamt Skinheads verantwortlich. Gestern morgen hat die Polizei bei einer Hausdurchsuchung Beweismaterial für die Scändungen vom Wochenende gefunden. Die festgenommenen Skins haben inzwischen gestanden.

VON ERWIN SINGLE

Entsetzen, Wut und Trauer — überall steht den Besuchern der verwüsteten jüdischen Grabstätten die Fassungslosigkeit über die Zerstörungswut der Täter ins Gesicht geschrieben. Fast hilflos stehen sie zwischen umgeworfenen, teils sogar zerhackten Grabsteinen und herausgerissenen Grabplatten. Überall prangern Hakenkreuze, Runen und antisemitische Sprüche. Das Ausmaß der jüngsten Grabschändungen übersteigt die Vorstellungskraft vieler Menschen, bei den rund 30.000 jüdischen Mitbürgern dürften sie Gedanken an den Holocaust in Erinnerung rufen.

17 jüdische Friedhöfe wurden in Baden-Württemberg in diesem Jahr bereits verwüstet, die gleiche Zahl der beiden vorangegangenen Jahre zusammen. Meist waren es einzelne Gräber, die beschädigt oder mit Hakenkreuzen besprüht wurden. Doch seit im Juli die Bronzeplatten des Gräberfeld X auf dem Tübinger Stadtfriedhof besudelt und das Mahnmahl für die dort bestatteten 500 Naziopfer zerschlagen wurden, riß die Kette von großflächig angelegten Verwüstungen nicht mehr ab. Zwei Wochen später erklommen mehrere Täter die verschlossenen Tore des jüdischen Friedhofs Steinhaldenfeld im Stuttgarter Stadtteil Bad-Canstatt, beschädigten über 70 Grabsteine und meißelten an einigen Gräbern sogar die Namenszüge Verstorbener und Davidsterne heraus. An der Einsegnungshalle hinterließen sie die Aufschrift „Bald fliegt alles auf — 6 Mill. Lügen“ und zeichneten die Tat mit „loge 750“.

In dem badischen Winzerdörfchen Ihringen walzten Unbekannte in einer nächtlichen Aktion gleich einen ganzen Friedhof nieder, auf dem etwa 200 Menschen der ehemaligen jüdischen Gemeinde im Ort begraben liegen. Unter der Hohenzollernburg in Hechingen am Rande der schwäbischen Alb bot sich wenig später dasselbe Bild: überall auf dem 200 Jahre alten Judenfriedhof umgestürzte Grabsteine und antisemitische Schmähparolen. Die Verwüstungen zweier Gedenkfriedhöfe für jüdische KZ-Opfer im Kreis Ludwigsburg am vergangenen Wochenende bilden das vorläufige Ende einer Kette von Anschlägen, die längst nicht abzureißen scheint. In Unterrixingen rissen die Täter Waschbetonplatten aus dem Eingangsbereich heraus und fügten sie zu einem Hakenkreuz zusammen.

Vier Festgenommene haben gestanden

Im Stuttgarter Landeskriminalamt geht die Suche nach den zum Großteil noch unbekannten Tätern weiter, die vorwiegend im Umfeld rechtsradikaler Neonazis vermutet werden. Die LKA-Sonderkommission konnte bereits erste Fahndungserfolge verbuchen. Für fünf Taten, darunter die Anschläge in Stuttgart, Tübingen und Hechingen, macht das LKA vier Personen aus der Skinheadszene verantwortlich. Zwei von ihnen, der 23jährige Tübinger Heinz Sauter und die 19jährige Manuela Maier aus Nürnberg, saßen bereits im Frühjahr beim Ravensburger Skinhead-Prozeß wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vor Gericht. Sauter, in der Tübinger Neonaziszene seit langem kein Unbekannter, wurde freigesprochen, seine Freundin erhielt fünf Monate auf Bewährung. Die beiden hatten an einem „Koma-Saufen“ von Skins teilgenommen, bei dem anschließend das nahegelegene Jugendzentrum in Ravensburg überfallen wurde. Sauter soll auch Kontakte zur Freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei (FAP) gehabt haben. Die Freimaurerparole in Cannstadt weist auf die Pariser „Thelema Landesloge 750“ hin, die enge Verbindungen zu der von dem Neofaschisten Michael Kühnen geführten, inzwischen verbotenen „Aktionsfront nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS) unterhielt.

Gestern früh hat die Polizei die Wohnungen von vier jungen Leuten, die der Skinheadszene zuzuordnen sind, durchsucht. Dabei wurde Beweismaterial für die beiden Schändungen vom Wochenende sowie für einen in der gleichen Nacht verübten Brandanschlag auf die Bahnhofsgaststätte in Sersheim gefunden. Die vier haben die Tat bereits zugegeben.

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