■ Verwirrende Einkommensstatistiken in Ostdeutschland: Armut ist eine Frage der Relation
Die ostdeutschen Einkommen ziehen an. Der allgemeine Anstieg der Löhne und Gehälter sei aber mit einer Zunahme der Einkommensunterschiede verbunden, meldet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Alle haben mehr, aber die einen mehr als die anderen. Das stimmt zwar, trotzdem wird die These differenziert durch einen Bericht des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) über Armut im Osten.
Demnach hat sich der Anteil der armen Bevölkerung in den neuen Bundesländern zwischen 1990 und 1992 von 3,5 Prozent auf 6,1 Prozent erhöht und blieb bei 5,9 Prozent im Jahre 1993 stehen. Als „arm“ gelten hier Personen, die über weniger als die Hälfte des ostdeutschen Durchschnittseinkommens verfügen. Genauer: die Armutsquote kann sich allein schon deswegen erhöhen, weil eben die Höhe des Durchschnittseinkommens in Ostdeutschland gestiegen ist und entsprechend viele die Hürde des gestiegenen Mittelwerts nicht mehr schaffen. Daher nimmt es nicht Wunder, daß zwischen 1990 und 1993 die Armutsquote bezogen auf das westdeutsche Durchschnittseinkommen deutlich gefallen ist (von 65 auf 24 Prozent) – deshalb nämlich , weil das westdeutsche mittlere Einkommen als Referenzwert nahezu gleich blieb, die ostdeutschen Renten, Löhne und Gehälter absolut gesehen jedoch in die Höhe kletterten.
Armut ist eine Frage der Relation, so läßt sich schließen. Einkommensunterschiede wie im Westen, schließt das WZB aus seiner Statistik, seien im Osten noch relativ gering. Dies liegt wiederum schlichtweg daran, daß im Osten noch die Gruppe der Spitzenverdiener fehlt, die im Westen die statistischen Werte nach oben treibt.
Relativ zu betrachten ist auch die Lage der Sozialhilfeempfänger im Osten. Ihre Zahl steigt, aber immer noch liegt das Niveau der Sozialhilfe mit 1,8 Prozent der Bevölkerung deutlich geringer als im Westen mit 3,1 Prozent (1993). In sehr viel geringerem Maß als im Westen sind beispielsweise Rentner auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen. Aufgrund der hohen früheren Erwerbstätigkeit der Frauen können Rentnerehepaare zumeist über ein ausreichendes Haushaltseinkommen verfügen, auch wenn sie im Gegensatz zu vielen Rentnerinnen und Rentnern im Westen kein angespartes Vermögen haben. Aufgrund der hohen Frauenerwerbstätigkeit sind auch nur 51,3 Prozent der Sozialhilfeempfänger im Osten Frauen, im Westen liegt die Vergleichsquote bei 60,4 Prozent.
Der Verlierer im Osten ist, so scheint es mit Blick auf die Statistik, vielmehr die Jugend. Mit einem Anteil von fast 40 Prozent sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren wesentlich stärker unter den Sozialhilfeempfängern vertreten als in Westdeutschland (30 Prozent). Der überproportionale Anteil von jungen Erwachsenen signalisiert darüber hinaus, daß der Mangel an Jobs im Osten ein besonders häufiger Grund ist, Sozialhilfe zu beantragen. Arbeitslosigkeit ist im Osten das höchste Armutsrisiko.
Armut ist also eine Frage der Relation – auch wenn sich die Betroffenen von dieser Erkenntnis nichts kaufen können. Barbara Dribbusch
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