: Verweltgesellschaftung
Bassam Tibi über die Krise des Islam ■ von Christoph Burgner
Daß sich in einer durch den Krieg zugespitzten Situation auf Angst basierende Vorurteile gegenüber einer Religionsgemeinschaft leichter vermarkten lassen als die Analyse historischer Voraussetzungen und ihrer Folgen im Aufeinanderprallen verschieden entwickelter Gesellschaftssysteme, hat europäische Tradition. Daß dennoch nüchterne und überzeugende Stimmen einiger weniger laut werden können, auch dies hat europäische Tradition, spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung. Bassam Tibi, Professor und Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen der Universität Göttingen, stellt sich mit seinem Buch Die Krise des modernen Islam bewußt in diese Tradition. Gegen die Marktschreier, Mediengaukler und mittelalterlichen Kreuzzugsritter stellt Tibi die westlichen Errungenschaften des Säkularismus, der Rationalität und der echten Toleranz — als Fortschritt des Zivilisationsprozesses.
Am Beispiel des Islams verdeutlicht er in seinem Buch jedoch noch einmal, wie außereuropäische Kulturen das Projekt der Moderne mit seiner techno-wissenschaftlichen Kultur erlebt haben und verstehen. Der Islam, so seine Hauptthese, ist samt seiner fundamentalistischen Radikalisierungen und seiner antiwestlichen Haltung in seiner gegenwärtigen historischen Erscheinungsform eine Defensivkultur. Er steht als solche an der Peripherie einer von westlichen Zentren seit dem Entstehen der industriellen bürgerlichen Gesellschaft ausgehenden kolonialen Penetration. Daß die islamischen Gesellschaften dadurch nicht nur eine strukturelle Krise in bezug auf Industrie und Ökonomie, sondern in viel größerem Ausmaß eine Krise moralischer und kultureller Ordnung erleben, liegt an der Konfrontation einer modernen Kultur des Westens mit dem Islam als einer vormodernen Kultur.
Schließlich stellt der Islam eine Religion und eine kulturelle und politische Ideologie dar, die ihrem Anspruch nach das gesamte Leben des ihm angehörenden Menschen umfassen will. So wird mit der Zurückweisung kolonialen Eindringens auch der kulturelle Gehalt der Moderne abgewiesen. Dafür verantwortlich ist nicht ausschließlich die religiöse Tradition des Islam mit seiner Entsprechung zwischen Sakralem und Politischem. Vielmehr war seit der Okkupation Ägyptens 1798 eine wiederholte Erfahrung prägend: „Das Herabsinken der europäisch-techno- wissenschaftlichen Modernität zu einer Waffentechnologie entspricht genau den historischen Umständen, unter denen Nichteuropäer mit dieser Modernität konfrontiert wurden.“
Eines jedensfalls stellt Tibi damit deutlich heraus: Diese Konfrontation war zu keinem Zeitpunkt eine zwischen gleichberechtigten Kulturen. Der Islam stellt als politische und kulturelle Dimension ein in die Defensive gedrängtes, vorindustriell ausgeprägtes System dar. Die Begründungen seiner These legt Tibi ausführlich dar. Er stellt in seinem Buch jedoch mehr zur Disposition als die diskursive Erläuterung dieser Krisenerscheinungen und ihrer historischen Voraussetzungen. Wichtig bleibt ihm durchgehend die Perspektive, mit der sich die islamischen Gesellschaften innerhalb einer Weltkultur aus ihrer Rückständigkeit befreien können. „Die Aufhebung der hegemonialen Strukturen der Weltgesellschaft und deren Demokratisierung ist ein Ziel, das ohne die Überwindung der Kluft zwischen industriellen und vorindustriellen Kulturen nicht realisiert werden kann.“
Dabei fordert Tibi die islamische Welt auf, einer Säkularisierung Vorschub zu leisten, einer, die sich jedoch nicht nach westlichem Vorbild vollziehen kann. Er schlägt eine kreative Aneignung der Moderne durch die Muslime vor. Dabei sind religiöse Fundamentalisten ebenso wie postmoderne europäische Vorstellungen für ihn gleichermaßen Gegner der Überwindung einer globalen Krise.
Die interdisziplinäre Vorgehensweise Tibis, der islamwissenschaftiche und soziologische Überlegungen verschränkt und sowohl kritische Theorie als auch Ansätze von Nobert Elias' Kulturtheorie aus ihrem europäischen Kontext zu übertragen versucht, macht seinen Text zu einer brillanten und übergreifenden Arbeit. Wie weit der Weg zur Verweltgesellschaftung noch ist, mußte Tibi selbst erfahren. Der zur Neuausgabe hinzugefügte Essay wurde schließlich aus amerikanischen Drittmitteln finanziert und nicht mit deutschen. Man sollte meinen, die deutsche Wissenschaft verteidige ihren provinziellen Eurozentrismus wie Fundamentalisten ihre Religion
Bassam Tibi: Die Krise des modernen Islam , Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 20 DM.
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