Verurteilung nach Steinwurf: Bewährungstrafe für einen Mai-Randalierer
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt einen 21-Jährigen zu 18 Monaten Haft auf Bewährung. Der junge Mann hatte zuvor zugegeben, am 1. Mai 2010 vier Steine auf Polizisten geworfen zu haben.
Toralf R. hat sichtlich aufgeatmet, als er den Richterspruch gehört hat: Die Freiheitsstrafe übertraf zwar deutlich die Forderung seines Verteidigers - doch noch im selben Satz folgten die Worte: "Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt." Das Gericht wertete den Fall als Landfriedensbruch und versuchte Körperverletzung.
Seit seiner Festnahme am 1. Mai dieses Jahres sitzt der junge Mann mit blonden Rastazöpfen in Untersuchungshaft, angeklagt wegen Sachbeschädigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre Freiheitsstrafe - ohne Bewährung.
Der Angeklagte legte indes ein Geständnis ab, das mit der Zeugenaussage einer Polizistin in wesentlichen Punkten übereinstimmte: Toralf R. war Teil einer 20-köpfigen Gruppe, die sich am späten Abend des 1. Mai in der Reichenberger Straße versammelte. Aus einer "aufgeheizten und aggressiven Stimmung" heraus demolierte der Verurteilte zunächst die Glasscheibe einer Bushaltestelle. Im Verlauf der Krawalle warf er insgesamt vier Steine in Richtung der Polizei; ein Stein traf einen Beamten am linken Bein - ob der Polizist dadurch verletzt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Der Täter war mit Kapuze, Sonnenbrille und einem Tuch über Nase und Mund vermummt.
Vor Gericht fühlte sich Toralf R. laut seinem Anwalt außerstande frei zu reden. Der Verteidiger verlas die Aussage: Der Täter stamme aus sehr schwierigen Familienverhältnissen, schon früh sei bei ihm ein Aufmerksamkeitdefizit (ADHS) diagnostiziert worden. Bis er 15 war, habe er täglich das Beruhigungsmittel Ritalin eingenommen. Noch heute habe er ein großes Problem, seine "Aggressionen zu kontrollieren" und sich "Autoritäten unterzuordnen", hieß es weiter.
Seit dem Freispruch für eine Gruppe rechter Jugendlicher, die ihn zu Hause überfallen und zusammengeschlagen habe, spüre er Wut auf die Polizei. Er wisse, dass er große Fehler gemacht habe. Die Untersuchungshaft habe tiefen Eindruck auf ihn gemacht, schloss der Verteidiger.
Er legte dem Gericht einen unterschriftsreifen Arbeitsvertrag vor: Sobald Toralf R. aus der Haft entlassen wird, kann er demnach seine Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter beginnen.
Die Staatsanwältin sah gleichwohl "keine günstige Sozialprognose" für Toralf R. und forderte eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Damit rief sie den Verteidiger auf den Plan: In seinem emotionalen Plädoyer sprach er von einem erst 21 Jahre alten Mann ohne einschlägige Vorstrafen, der in seinem Leben nie eine Chance gehabt habe. Während seiner zweimonatigen Untersuchungshaft habe er sehr gelitten. Wenn etwas zu einer ungünstigen Sozialprognose führen würde, dann eine zweijährige Haftstrafe. Seine Forderung: maximal zehn Monate Haft auf Bewährung.
Das Gericht verurteilte Toralf R. schließlich zu 18 Monaten Freiheitsentzug und setzte die Strafe für drei Jahre zur Bewährung aus. Ausschlaggebend war laut Urteilsbegründung vor allem das umfassende Geständnis des Verurteilten; dies sei bei 1.-Mai-Prozessen sehr unüblich und erspare dem Gericht eine ausführliche Beweisaufnahme.
Weitere begünstigende Umstände sah der Richter in der Aussicht auf eine Berufsausbildung und die Tatsache, dass die Straftat nicht politisch motiviert war. Noch ist der junge Mann allerdings nicht in Freiheit. Es besteht ein Haftbefehl wegen eines weiteren laufenden Verfahrens. In diesem Fall wird Toralf R. beschuldigt, am 1. Mai 2008 eine halb gefüllte Plastikflasche in Richtung der Polizei geworfen zu haben. Der Prozesstermin steht noch aus.
Eindruck auf ihn
gemacht" -->
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles