Verurteilter Abmahnanwalt: Internetszene jubelt
Der berühmt-berüchtigte Abmahnanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth will dem Gefängnis entgehen und legt Berufung ein. In zahlreichen Kommentaren begrüßt die Internetszene das Urteil.
Im Oktober 2006 wurde ein aufgeregter Anrufer in die Online-Abteilung der taz durchgestellt: "Beim Amtsgericht Berlin-Tempelhof/Kreuzberg wurde beantragt, eure Domaine www.taz.de zu versteigern. Wollt ihr die wirklich loswerden?" Das wollten wir natürlich nicht und dieser Versteigerungsantrag war nur ein weiterer Höhepunkt eines Rechtsstreits, den sich Deutschlands berüchtigster Abmahn-Anwalt, Günter Freiherr von Gravenreuth, mit der taz lieferte. Der casus belli: eine einzige unbestellte Bestätigungs-Email für den taz-newsletter, die Gravenreuth erhalten hatte. Weil er im Rechtsstreit um diese Lappalie vor betrügerischen Mitteln nicht zurückschreckte, wurde er jetzt zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt (siehe "Weitere Artikel"). Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Nachdem das Nachrichtenportal heise.de am Mittwoch früh über den Fall berichtet hatte, brach in der Internetszene ein Sturm der Begeisterung aus. Schon in den ersten zwei Stunden nach Erscheinen wurden mehr als 1.000 Kommentare zu dem Artikel veröffentlicht, die die Verurteilung des "Abmahn-Vampirs" bejubelten. Auch die taz verzeichnet überdurchschnittlich viele Kommentare.
Anfang der 90er Jahre wurde Gravenreuth wegen der sogenannten "Tanja-Briefe" bekannt: Im Auftrag von Gravenreuth meldete sich ein Testbesteller als "Tanja" auf "verdächtige" Zeitungsannoncen, in denen privat kopierte Computerspiele angeboten wurden.Wer darauf einging, wurde dann wegen des Vertriebs von "Raubkopien" abgemahnt. Seit dem gilt er in der Szene als Personifikation des geldgierigen Abmahnanwalts. Sein Ruf als Serien-Abmahner festigte sich weiter, als sein Name im Zusammenhang mit Massenabmahnungen wegen weit verbreiteter Begriffe wie "Webspace" oder "Explorer" auftauchte. 2006 scheiterte er vor dem Landgericht München mit dem Versuch, Internet-Foren die Nennung seines Geburtsnamens Günter Dörr zu verbieten - der Freiherr hatte sich 1980 den Mädchennamen seiner Mutter zugelegt. Ebenfalls 2006 wurde er wegen Veruntreuung von Mandantengeld zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die das Gericht zur Bewährung aussetzte. Auch dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.
Im Falle der taz verlief der Fall so: Da die taz das für die Bestellung ihres newsletters verwendete "double-opt-in"-Verfahren für zulässig hielt (dem Besteller wird eine Bestätigungs-E-Mail geschickt, den Newsletter erhält er fortan nur dann, wenn er die E-Mail zurücksendet), hatte sie auf die erste Abmahnung von Gravenreuths nicht reagiert. Dieser erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht und ließ seine Gebühren mit Kostenfestsetzungsbeschluß vom 23. 6. 2006 festsetzen. Die taz überwies ihm die darin zugesprochenen Kosten von 663,71 Euro am 30. 6. 2006. Als der Mann am 4. Juli der taz schrieb, das Geld auf angeblich bestehende andere Forderungen verrechnen zu dürfen, widersprach die taz mit Telefax-Schreiben vom 10. Juli 2007.Der Freiherr behauptete indessen am 12. 7. 2006 gegenüber dem Vollstreckungsgericht, der Kostenfestsetzungsbeshcluß sei noch nicht bezahlt, und beantragte die Pfändung der Domain taz.de. Der taz gegenüber schrieb er am 14. 6. 2006, die Telefax vom 10. 7. 2006 nicht erhalten zu haben. Trotz des Widerspruchs der taz versuchte er sogar noch drei Monate später die Verwertung der Domain durch Versteigerung zu erreichen. Daraufhin stellte die taz durch ihren Anwalt Jony Eisenberg Strafantrag und erwirkt eine einstweilige Verfügung, mit dem ihm die weitere Vollstreckung untersagt wurde. Bei der Durchsuchung der Münchner Kanzlei Gravenreuths im Januar 2007 wurde genau das Fax der taz vom 10. Juli 2006 gefunden, dessen Erhalt der Anwalt geleugnet hatte. Vor Gericht machte er dafür jetzt das "Chaos" in seinem Büro verantwortlich und mangelnde Rechtskenntnis, was die Richterin als Ausflucht wertete und wegen einer früheren Verurteilung auch eine Geldstrafe für den Angeklagten nicht für ausreichend befand.
In einer Stellungnahme gegenüber heise.de teilte Gravenreuth mit, der Zahlungseingang der taz sei ihm aufgrund der Leistungsbestimmung auf dem Überweisungsträger "RNR.15 O 436/06 23.06.2006" unklar geblieben. 15 O 436 ist das Aktenzeichen, 23.06.2006 ist das Datum des Kostenfestsetzungbeschlusses, der Betrag vom 663,71 ist der Betrag aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß zuzüglich ein paar Groschen Zinsen. Die anderen Forderung(en), deren sich Gravenreuth - zu Unrecht - berühmte, paßten überhaupt nicht zu diesem Zahlbetrag und diesen Daten. Gleichwohl will Gravenreuth die Erfüllung der Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß nicht erkannt haben. Am 12. Juni, also nur wenige Tage nach dem Geldeingang und der Lektüre des Zahlungsgrundes, hat er aber genau dieses Aktenzeichen, dieses Datum des Kostenfesetzungsbeschluß und den darin enthaltenen Betrag in den Pfändungsantrag hineingeschrieben. Übrigens mußte Granvenreuth die 663,71 € später zurückzahlen, als das Landgericht die einstweilige Verfügung aufhob und das von der taz verwandte "double-opt-in-Verfahren" als zulässig bewertete.
Dass er den wahren Zahlungsgrund durch das Gerichtsaktenzeichen und das Datum nicht erkannte, wollte die Richterin einem Juristen mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung dann allerdings nicht abkaufen. Wie taz-Anwalt Jony Eisenberg mitteilte, will Gravenreuth gegen das ergangene Urteil Berufung einlegen.
Update: Dass wir mit dem Strafantrag gegen den abmahnwütigen Freiherrn den Richtigen trafen, hatten wir zwar geahnt, doch der Jubel im Netz, den der Bericht über das Urteil nach sich zieht, hat ungeahnte Ausmaße angenommen. Zu dem Bericht auf heise.de gingen bis Donnerstagmittag schon mehr als 11.200 Leserkommentare ein. Ein solches Feedback auf eine Nachricht hatte das größte deutsche Online-Forum der Computerszene bisher nur einmal erlebt, bei einem Artikel über den EU-Patentschutz von Software. Auch die gesamte Nacht über hatte in den Foren Partystimmung geherrscht: neben Lob und Preis für die taz, der Ankündigung von Spenden und der Bestellung für Abonnements, wurde zu einem Autokorso und weiteren Jubelaktivitäten aufgerufen. Bei aller Schadenfreude wollten die Blogger aber auch eine gewisse Humanität nicht vergessen und forderten, falls das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten in der Berufungsverhandlung bestätigt wird und der Abmahnanwalt hinter Gitter wandern muß: Ein Knastabo für Günni!
Richtigstellung:
Soweit es im vorstehenden Artikel ursprünglich hieß, Gravenreuth habe in Kleinanzeigen der 15-jährigen "Tanja" zum Tausch von Computerspielen animiert, ist dies falsch. Richtig ist, dass im Rahmen dieser Aktion Gravenreuth keinerlei Zeitungsannoncen aufgegeben hat, insbesondere nicht unter falschen Namen. Es wurde vielmehr ausschließlich auf verdächtige Inserate anderer geantwortet, und zwar nicht durch Gravenreuth selbst, sondern durch einen von ihm beauftragten Testbesteller.
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