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Verunsicherte machen gern Pappkameraden für den Schlamassel verantwortlichAlles ist vergiftet, sagen sie

So nicht

von Doris Akrap

Ginge ich zum Karneval, würde ich als wegbrechende Mitte gehen. Oder als kippende Stimmung. Oder als allgemeine Verunsicherung. Ich würde darauf hoffen, dass man mich für einen echten Pappkameraden hält, mich auslacht und dass dann alle bei ihrem persönlichen Hausgott schwören, diese lächerlichen Kostüme in das Regal zu den anderen Pappnasen zu stellen, die mal als Propagandawerkzeuge benutzt wurden.

Der einzige Ort, an denen diese drei Phrasen noch Sinn machen würden, wäre in einer dieser Wie-erklär-ich’s-meinem-Kind-Rubriken. Dort könnten die bedrohte Mitte, die kippende Stimmung und die allgemeine Verunsicherung als Storytelling-Elemente zur Definition von Pappkameraden verwendet werden. Mann jage einen von ihnen wochenlang durch Talkshows und Schlagzeilen und irgendwann fragt sich jeder, ob bei ihm eigentlich auch schon irgendwas umgekippt, weggebrochen oder verunsichert worden ist.

Die Verunsicherung verleitet nun manche dazu, sich einen neuen Pappkameraden zu suchen, der für den ganzen Schlamassel verantwortlich gemacht werden kann. Also den Schlamassel, dass das mit den Rechten und der rechten Gewalt einfach nicht aufhören will. Wenn man nicht wie der Leipziger Polizeipräsident vor den Rechten kapitulieren will und fürchtet, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen, „fliegt uns das Land um die Ohren“, dann guckt man sich so um. Wen haben wir denn da? Ah ja, die Linken! Sehr gut. Die nehmen wir. Die zünden nämlich Autos an, nur weil wir denen mal die Bude aufgeräumt haben. Das sind „Terroristen“ (Berliner Zeitung) und das ist „Gift für die Gesellschaft“ (Berlins Innensenator Frank Henkel).

So sehen das nicht nur Berliner Lokalpolitiker und Lokaljournalisten. So sieht das auch das Hamburger Flaggschiff der Mitte, die Zeit.

Die konstatiert den Verlust der Mitte und macht für den Zuwachs der Rechten die Linken verantwortlich. Sie nennt sie nicht Terroristen, sondern „kulturalistische Linke“. „Wer da nicht mitmachen will […] muss heute politisch mindestens bis zur AfD auswandern, um mit seinem Unbehagen kommunikativ wieder anschlussfähig zu werden, denn die Union unter Angela Merkel funktioniert nicht mehr als besonnener Katechon.“ Und: „Was heute das Blut regelmäßig zur Wallung bringt, sind samt und sonders Fragen der Weltanschauung, der diskursiven Symbolpolitik, des ideologischen Lifestyles. Straßennamen, Geschlechtskategorien an Klokabinen.“ Hieraus speise sich die „Verfeindungsenergie, die im Moment alles vergiftet“.

Vergiftet. Alles ist vergiftet! Mir ist nicht bekannt, dass Angela Merkel jemals Weihnachten in einer Schwulenbar gefeiert hat. Mir ist auch nicht bekannt, dass der Bürgermeister von Dresden alle öffentliche Toi­letten als All-Gender-Toiletten gekennzeichnet hat. Mir ist auch nicht bekannt, dass Linke Gift ins Grundwasser einspeisen.

Bekannt ist mir aber die Argumentation. Und zwar von der AfD. „Wer uns wählt, geht auch in Zukunft noch geschlechtergetrennt aufs Klo.“ Wäre ein prima Wahlmotto!

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