: Vertreibung aus dem feuchten Paradies
■ Im Schöneberger Sportbad krabbeln Schaben bis Mai weiter. Im Juni Schließung
Die gemeine „Blattaria“ macht derzeit den Schöneberger Neptunisten das Schwimmen madig. Nach drei Tagen Pause wegen Schabenbefalls in der vergangenen Woche soll nun im Mai das Sport- und Lehrschwimmbad am Sachsendamm erneut dichtmachen. Die Kammerjäger wollen dann den kleinen netten Tierchen endgültig auf den Pelz rücken, die sich in dem feuchten Klima wohl hartnäckig halten.
Das Schwimmbad, in dem es den Besuchern wegen der schmuddeligen Umkleidekabinen schon seit geraumer Zeit graust, war „mittelstark von Schaben befallen“, so die Schöneberger Hygienereferentin Elisabeth Rehder. Die acht bis elf Zentimeter langen Insekten „mit beißend-kauenden Mundwerkzeugen“ (Meyers Enzyklopädie) waren ab Februar vermehrt aus der Deckung geschlüpft und sollen sogar in Taschen und Beutel vornehmlich junger Schwimmfans gekrochen sein. Als diese zu Hause die nassen Badehosen und Handtücher auspackten, saßen darin die „dämmerungsaktiven Allesfresser“ (Meyer). Mütter sollen beim Anblick der Schaben schreiend davongelaufen sein, und Kinder machten „iiihhh!“.
Daß die Jagd mit Klebefallen und Schabenpaste nur kurzfristig Wirkung gezeigt hat und nochmals gründlich wiederholt werden muß, bringt die Kammerjäger nicht aus der Fassung. Der Schrecken sei nur halb so schlimm, sind doch die Tierchen nicht gesundheitsschädlich, betont Rehder. Da hat die Hygienespezialistin recht. Trotzdem werden die dunkelbraunen Panzerkriecher allgemein für Teufelsgetier und Krankheitsdämonen gehalten und darum fast weltweit unerbittlich verfolgt.
Weit netter zu den Tierchen aber sind Russen, Schweizer und Süddeutsche (besonders die Schwaben, die von den Badenern auch „Schaben“ genannt werden). Diese glauben nämlich, daß dem Getier ein glückbringender Schutzgott innewohnt und sie pulverisiert gar gegen Epilepsie helfen. In Milch gekocht, werden Schaben bei Kindern gegen Würmer verabreicht. Ein anderes Rezept der russisch-schwäbischen Volksmedizin ist die Verwendung der Krabbeltiere als harntreibendes Mittel – vielleicht haben darum einige Schwimmer so oft ins Schöneberger Becken gepinkelt.
Der Verdacht, die Tiere könnten vom Senat aus Spargründen zur Bäderschließung gezielt eingesetzt worden sein, wird von der Hygienefachfrau zurückgewiesen. Gegen die Schaben seien die Kammerjäger bereits in der Vergangenheit immer wieder angerückt. Ob die Tiere endgültig aus dem Schöneberger Bad vertrieben werden können, ist allerdings fraglich. Denn die Fallen und chemischen Superkeulen erledigen nur die ausgeschlüpften Exemplare. Gegen die abgelegten Eier sind sie machtlos. Die sollen ab Juni bei Sanierungsarbeiten gekillt werden. Rolf Lautenschläger
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